Mein Leben

 

Blätter fielen nieder

allzu früh

ich dachte an die Lieder

trotz Plag und Müh,

Ja, dachte an mein Leben

wie es begann

sollt wohl das Ziel anstreben,

das Liebeskraft ersann!

Erneut unter fallenden Blättern

beschriftete ich „verbannt“

aber in der Himmelsbibliothek nicht „verbrannt!“

 

 

 

 

 

Erinnerungen an meine Kindheit, Jugendjahre und Ehe

 

Als ich im Jahre 1941 im mörderischen Wüten des zweiten Weltkrieges in Petersberg, Kreis Fulda, geboren wurde, muss mein kindliches Urvertrauen bereits empfindlich gestört worden sein, weshalb ich wahrscheinlich noch in späteren Jahren meines Lebens eine Rückerinnerung an innere Babyqualen hatte, die ich allerdings nicht zu deuten wusste. Mein Vater, Anton Stock, der sich nach meiner dreijährigen Schwester Annemarie einen Sohn als zweites Kind gewünscht hatte, war über mein Geschlecht ziemlich enttäuscht, was die Mutter verbitterte, wie sie mir später des öfteren erzählte. Meine katholische Babytaufe vollzog aufgrund der damaligen Kriegsgefahren unser Gemeindepfarrer in unserem Elternhaus, wobei er den von der Mutter für mich bestimmten Namen Hannelore nicht gelten ließ, sondern mich auf den Namen Johanna Eleonore taufte. Sicher sah er in diesem Taufnamen eine tiefere Bedeutung im göttlichen Sinne für meine Person – und die Gnade und Errettung durch Gott sollte auch in diesem Vorgang für mein Leben bestimmend sein.

Mein Rufname blieb allerdings die von der Mutter gewählte Kurzform – Hannelore – und so wuchs ich im Elend dieser Kriegszeit heran. Die Leiden und Ängste der Eltern und Nachbarn, das häufige Flüchten in den nahegelegenen Schutzbunker am Rauschenberg, unseres Petersberger Heimatortes, konnten schon tiefe Wunden in den Menschenherzen hinterlassen und besonders Kinder mochten wohl kaum manche Seelenqualen verkraften. Nein, diese Welt schien schon in meinen frühesten Kindheitstagen nicht meine wahre Heimat zu sein und ich durchlitt manche Schwermut, welche ich mir aber nicht erklären konnte. Oft dachte ich zurück an den Schutzbunker im Wald, in dem viele Menschen zusammengedrängt auf verschiedenste Weise zu Gott um Hilfe und Erbarmen flehten und wenn ein Bombenangriff  überstanden war, sah ich draußen vor dem Bunker tote Menschen liegen, verstümmelte Glieder, abgerissene Köpfe, zu welchem Toten mochten sie gehören?

Es war grauenhaft, diese armen Opfer zu  sehen und ich flüchtete mich dann voller Angst in die Arme der Mutter, um diesen Anblick zu vergessen.

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In meinem dritten Lebensjahr, als Hunger und Not die Mutter fast zur Verzweiflung trieben und mein Vater ja nicht für uns sorgen konnte, da er in den Krieg eingezogen war, entschloss sich die Mutter, mit uns Mädchen zu einem Onkel zu flüchten, der in der Rhön einen Bauernhof hatte. Während dieser Flucht hatten wir ein Erlebnis, das unbeschreiblich schön war. Inmitten der freien Natur wurden wir erneut von einem Bombenangriff bedroht, wobei sich die Mutter mit uns Kindern in Todesangst in einen Straßengraben warf, um vor dem mörderischen Angriff Schutz zu finden. Nachdem der Bombenhagel vorüber war – und wir uns schmutzig und verweint wieder aus dem Graben herausgewagt hatten, verängstigt hinauf zu all dem Bösen starrten, öffnete sich der Himmel und eine wunderschöne Frau trat aus den Wolken hervor. In schwebender Grazie blieb sie über einer grünen Baumgruppe stehen. In reinster Schönheit und Harmonie lächelte sie zu uns herab und wir Kinder jubelten entzückt zu ihr hinauf und glaubten, dass es Maria, die Mutter Jesu sei, welche ja in unserer katholischen Familie besonders verehrt wurde. Da sie uns aber nur in stummer und schmerzlicher Liebe verbunden war und unserer Mutter  nicht sichtbar zeigte, hatten wir dennoch die Gewissheit, dass es Maria war, die unser Kinderherz in seliger Vereinigung durchstrahlte. Gebannt bestaunten wir ihre unbeschreibliche Schönheit und Reinheit, ihr lichtblaues Seidengewand, das in einem wallenden Schleier auf ihre bloßen, rosig durchleuchteten Füße fiel und blieben eine ganze Weile in ihr schmerzlich lächelndes Antlitz versunken, bis sie wieder im liebevollem und stummen Abschied gen Himmel entschwand.

Noch heute haben meine Schwester und ich den gleichen Gedankengang und Eindruck in unserer Erinnerung, wenn wir über jene Erscheinung reden. Für mich bedeutete dieses Erlebnis in der damaligen Zeit eine Glaubensgewissheit jenseitigen Lebens – und ich war in jahrelanger Kindersehnsucht Zwiespälten ausgeliefert, die ich mir zwar nicht erklären konnte, jedoch ahnte, dass sie sich irgendwie zwischen einer irdischen Fremdheit und einem Heimwehschmerz nach dem Jenseits manifestierten.

Als dann der Krieg im Jahre 1945 dem Ende zuging und mein Vater von der Front wieder zu uns nach Hause kam, begann sich das Leben trotz noch chaotischer Zustände in neuer Hoffnung zu öffnen und meine Eltern und Nachbarn hatten alle Hände voll zu tun, um die teilweise zerstörten Häuser und Gärten wieder in Ordnung zu bringen. Wir Kinder hatten auch schon kleinere Pflichten zu übernehmen und ich musste öfter aus dem Keller Gemüse in die Küche zur Mutter bringen, welches sie im Garten angebaut hatte.

Viele Dinge vergisst man ja im Laufe des Lebens aber ich erinnere mich noch an jene mir unerklärliche Angst, die ich besonders in dem einen Keller hatte, in dem ein alter Spiegel aufbewahrt wurde. Wenn ich in diesen hineinschaute, erschien ich mir so fremd und unergründlich und ich hatte das Gefühl, dass in meinem Kinderkörper mich zwei verschiedene Leben lebten.

Wie in einem bösen Bann schien mich das eine Unergründliche nicht loslassen zu wollen und ich floh dann mit letzter Kraft aus dem Keller, um irgendwo draußen im Garten über solche mir unerklärlichen Vorgänge nachzudenken. War das innerliche Leben ein anderes als das äußerliche – und wer war ich überhaupt?

Solchen Zwiespälten ausgeliefert, begann sich meine Wesensart mehr und mehr zwischen hoher und tiefer Empfindung zu entfalten und es wäre mir sicher eine große Hilfe gewesen, wenn die Eltern mehr Zeit gehabt hätten, eine innere Aufarbeitung in diesem unerforschlichen Seelenbereich ihres Kindes zu ermöglichen.

Ob aller irdischen Verausgabung war die Anbetung Gottes in unserer Familie eine Selbstverständlichkeit, obwohl aber die Verehrung Marias und der Heiligen Vorrang hatte und mir irgendwie der tiefere Bezug zum lebendigen Gott fehlte. In den

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katholischen Familien hatte man ja zur damaligen Zeit kaum eine Heilige Schrift im Hause und man wusste nicht, wie wertvoll SEIN Wort als Kraftquelle eines persönlichen Zuspruches gewesen wäre. Unter solchen unbewussten Gedanken lag ich oft einsam und träumend irgendwo draußen im Garten, um mich unter den Weiten der Unendlichkeit in einer unbewussten Sehnsucht zu finden.

                                                                                                                                                           

Durch die Armut dieser Kriegs und Nachkriegsjahre hatten wir Kinder allerdings auch den wertvollen Vorteil, uns an den kleinsten Dingen erfreuen zu können, eigene Ideen zu entwickeln und kreatives Denken zu erproben.

Alltägliche Dinge waren oft ein besonderes Erlebnis und ich erinnere mich an die Samstage, an denen die Mütter in unserer Nachbarschaft großen Hausputz hielten, die Holzdielen mit Seifenlauge schrubbten und in diesem herbfrischen Duft sich dann noch das köstliche Aroma vom selbstgebackenen Kuchen mischte.

Wie sehr freute man sich auf den Sonntag in seiner schlichten Feierlichkeit, an dem die Familie endlich einmal „ruhte“ und vereint sein konnte.  Am Samstagabend durften wir Kinder dann draußen noch einmal so richtig herumtoben und uns auch schmutzig machen, weil wir ja danach in einem mit heißen Wasser gefüllten Holzzuber gründlich geschrubbt wurden.

Allerdings mussten wir uns hüten, nach dieser Reinigung nochmals durch die Gärten zu flitzen, um uns nicht mehr schmutzig zu machen und wir wurden frühzeitig zu Bett geschickt, in welchem meine Schwester und ich uns noch so manches Ratespiel ausdachten.

Am Sonntagmorgen gingen wir mit den Eltern zuerst in die Kirche, wo man auch die meisten Nachbarn im Gottesdienst traf. Obwohl es eine Pflichterfüllung war, gehörte der Gottesdienst in den Sonntag hinein.

Obwohl es ein langer Marsch bis zur alten Grabeskirche hinauf war, mussten wir nach dem Mittagessen noch einmal in die Kirche, um die Andachtsstunde mitzufeiern. Oft empfand ich die langen Litaneien zu den verstorbenen Heiligen sehr unerträglich, weil sie in einem Tempo durchgebetet wurden und ich mich kaum in meiner kindlichen Fantasie auch nur in einen einzigen Fürbitter tiefer hineindenken konnte. Wie schön war aber dennoch dieser Tag, der irgendwie eine besondere Ausstrahlung hatte.

                                                                                                                                                         

In jenen Jahren gab es noch keine Mauern, welche die Gärten trennten und man konnte lustig von hüben nach drüben springen, um mit den Nachbarskinder so manche kleine Abenteuer zu erleben. Obwohl wir in unserem Garten allerlei Obst hatten, schmeckte doch der Apfel vom Nachbarsbaum besser, aber man musste schon mit mancher Schelte rechnen, wenn man dabei erwischt wurde. Durch die Not jener Zeit wurde ja noch alles Essbare verwertet und die kleinste Gartenfläche zu Nutzland gemacht. Unsere Mutter hatte sich schon fast einen kleinen Bauernhof geschaffen, in dem Hahn und Hühner durch den Garten stolzierten, Geißlein munter herumhüpften und ein Schwein im Hausstall grunzte. Besonders niedlich waren die kleinen, goldgelben Küken, die sich unter einer Bruthenne irgendwann durch die Eierschalen gepickt hatten – und die Mutter liebevoll aufzog. Mein Vater, der aus einer Bimbacher Landwirtschaft und Bürgermeisterfamilie entstammte, hatte in dieser Richtung seinen Beruf erlernt und war als landwirtschaftlicher Maschinenvertreter meist unterwegs auf Verkaufsreisen. Mutter, der die meiste Haus- und Gartenarbeit oblag, war dann sehr dankbar für manchen Sack Korn oder sonstiges Futter, das Vater von seinen Geschwistern mit nach Hause brachte, um unsere Haustiere satt zu bekommen. Vaters zahlreiche

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Geschwister hatten fast alle in Bauernhöfe eingeheiratet, während Bruder und Hoferbe Hermann Stock über 4o Jahre Landwirt und Bürgermeister von Bimbach war. Ein anderer Bruder meines Vaters, Onkel Clemens, hatte nach abgeschlossenem Studium den Dienst eines Schulleiters in Westfalen ausgeübt. Wenn er uns ab und zu besuchte,

war das schon ein besonderes Erlebnis, denn ein solch feiner und gebildeter Onkel war in unserer kleinen „Farm“ schon ein Ehrengast. Wenn er uns wieder verließ, winkte ich ihm noch lange nach und fühlte dabei, dass wir beiden uns in einer Art Seelensprache lieb hatten. Manchmal durften wir Mädchen auch mit Mutter in das Rhöndörfchen Schwarzbach fahren, in dem ihre Eltern auf einem kleinen, bäuerlichen Anwesen lebten.

Auch diese Gutberlets Großeltern freuten sich, wenn wir sie besuchten.

Großmutter Katharina war ein stilles und schüchternes Frauchen, das sich kaum neben dem dominanten Mann und unserem Großvater Johann behaupten konnte. Eigentlich ein Künstler, hatte Großvater ein Bildhauergeschäft in der hinteren Gartenwerkstatt, in der er Gedenksteine für den Friedhof und wunderschöne Figuren schuf. Da man aber in der damaligen Zeit sehr arm war, konnten die Dörfler diese Kunstwerke nicht ihrem Wert nach bezahlen und Großvater war dann schon zufrieden, wenn man ihn hauptsächlich durch Naturalien entlohnte. Bei solchen Besuchen spielte er uns dann aus seiner selbstgeschnitzten Flöte lustige Lieder vor und wir sangen, meist draußen auf der alten, moosigen Holzbank im Garten, irgendwelche Kinderlieder mit.

Als dann die Großeltern später verstarben, hatte ich oft Sehnsucht nach ihnen und ihrem alten Schindelhaus, in dem sie so karg lebten und mit ihren vielen Kindern wohl kaum jemals so richtig satt geworden sein konnten.

Jahrelang konnte ich nicht den Abschiedsschmerz meiner Mutter am Totenbett des Großvaters vergessen und hörte noch lange Zeit ihre tränenerstickte Stimme im dörflichen Dialekt rufen: „Mach`s good, Vodder!“

Leider habe ich meine Großeltern  von Vater nie kennen gelernt, da sie frühzeitig verstarben. Dennoch wurden sie mir durch Vaters Erzählungen in kindlicher Vorstellung lebendig. Später erfuhr ich, dass ein Ahne aus dieser väterlichen Sippe schon damals ein Neues Testament von Hand abgeschrieben hatte, das noch heute ein Cousin als geehrtes Andenken bewahrt hat. Dieser Ahne soll ein tiefgläubiger Mensch gewesen sein, wie uns Mutter des öfteren erzählte...........

                                                                                                                                                             

Eines Tages kam dann die Stunde, die für mich ein historischer Augenblick war, denn Vater fuhr mit ohrenbetäubendem Getöse einen Oldtimer durch unser Hoftor, der wie eine Dampflok qualmte.

Überglücklich entstieg er aus diesem vierrädrigen Ungeheuer, wobei sein rußbedecktes Gesicht schmunzelte.

Nur zögernd wagte ich mich an das noch zischende Monster heran und Vater erklärte mir stolz, dass er nun ein richtiges Auto habe. Mittlerweile hatte sich unsere Familie um diese neue Errungenschaft versammelt, nur Mutter schien sie mit gemischten Gefühlen zu betrachten, wobei sie den Oldtimer als einen baufälligen Kasten arg kritisierte. Dennoch wurde er zu einer kleinen Sensation in unserem Ort, in dem nur die wenigsten schon ein Auto besaßen. Was kamen nun für Freuden auf mich zu, denn ich durfte öfter mit Vater über Land fahren, um die Onkel und Tanten zu besuchen. Obwohl ja alle nur im Landkreis Fulda lebten, empfand ich es in meiner kleinen Welt wie eine große Weltreise. Während der Fahrt hatte ich allerdings eine nicht leichte Aufgabe zu übernehmen, denn die Autotür an meiner Seite ließ sich

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nicht schließen und begann sich während der Fahrt im ungemütlichem Gependel auszutoben.

Weder Vater noch der Schmied konnte sie gründlich reparieren und so musste ich mit einem Seil, das am Türgriff befestigt war, die Wagentür zuhalten. Öfter hatte ich dann einen Krampf in der Hand, der sehr schmerzhaft war. Doch Vater versuchte mich auf seine Weise abzulenken, indem er lautstark irgendwelche Kirchenlieder sang. Welch ein Abenteurer ist er doch, dachte ich mir im stillen, wobei sogar noch seine ausgebeulten Lederhosen nach Abenteuer rochen.

Wenn wir dann aber auf den Bauernhöfen heil ankamen und ein herzhaftes Frühstück von den Verwandten auf uns wartete, war die waghalsige Fahrt bald vergessen – und meine Cousins freuten sich schon darauf, mit mir zu spielen.

Mein Cousin Reinhold, der sich fleißig auf seine Doktorarbeit vorbereitete, saß oft einsam in seinem Studierzimmer über Berge von Büchern gebeugt, aber er nahm sich dennoch Zeit, sich ein wenig mit mir zu unterhalten, wenn ich ab und zu mal in sein Zimmer schlüpfte.  Draußen bei einer jeweiligen Erntearbeit war es ja auch spannend, den anderen spielerisch beizustehen.

Wenn wir meine Taufpatin besuchten, war es immer eine besondere Freude, denn mit sechs Buben zu spielen, war für eine kleine Göre recht aufregend. Alle waren sehr lieb zu mir. Einige von ihnen studierten sich dann später in solche Berufe hinein, in denen sie ihr Lebensziel wohl finden mochten, während die anderen auch wieder Landwirte wurden und fleißig ihre Scholle bearbeiteten.

Aber zu Hause war es doch am schönsten – und im Sommer hatten wir oft lustige Zeiten draußen im Garten.

Die Mutter hatte die Waschküche in eine zweite Wohnküche verwandelt. So konnte sie bequemer Obst und Gemüse einkochen und wir hatten zweckmäßig den grünen Hausgarten als Speisezimmer, in dem wir inmitten der blühenden Natur glückliche Kinder waren. Wenn dann Mutter zum Abendbrot das kleine Gartentischlein gedeckt hatte, spielte sie auf ihrem alten Schifferklavier so manches Volkslied früherer Jahre, wonach fast immer die Macht der Liebe Jesu durch den Sommerabend schallte, in die uns Mutter singend und innig einbetete – und wir sie mit jubelnden  Kinderstimmen begleiteten. In solchen Zeiten war ich ein frohes Kind und konnte all meine Glückseligkeit wie ein rechter Lausbub ausleben. Weniger mit meiner Schwester Annemarie, die sich meist mit Nachbarsmädchen in einen hinteren Gartenteil zurückzog, um reifere Jungmädchenträume zu durchdenken. Leider war ich aber auch für die Buben noch eine allzu kleine Göre, die man nicht so recht ernst nehmen konnte – und – beleidigt kletterte ich öfter auf einen Baum hinauf, in dessen Zweigen ich mich meinen Stimmungen hingeben konnte. Wie sehr liebte ich diese „Höhenflüge“ träumerischer Gedanken, die durch die Weiten unerforschlichen Himmelswelten wanderten, mich auch erneut in diese irdische Fremdheit versetzten, die ich nicht zu deuten wusste.

                                                                                                                                                             

Bald kam wieder die Winterzeit und ich kann mich erinnern, dass meterhohe Schneewehen über dem Erdreich lagen. In den damaligen Wintern war es noch grimmig kalt, aber wir unternahmen dennoch waghalsige Schlittenfahrten, bei denen ich mir allerdings so manche Beule zuzog. Der schwere Eisenschlitten war ja auch für Schlittenfahrten unbequem und es war schon eine rechte Plage, ihn dann wieder die lange Hövelstraße hinaufzuziehen. Abends triefte dann die Nase und Mutter machte uns ein heißes Fußbad, um einer Erkältung vorzubeugen. Danach rieb sie die schon arg zerschundenen Lederstiefel mit einem Fett ein, um sie dann hinter dem

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Herd zum Trocknen aufzustellen – und hängte unsere durchnässte Kleidung über einem Seil des Herdes auf.

Es war für mich immer eine große Erlösung, wenn ich das Leibchen ausziehen konnte, an dem die selbstgestrickten Wollstrümpfe befestigt waren.  Während wir unsere heiße Milch tranken und eine gesunde Scheibe von Mutters selbstgebackenen Bauernbrot aßen, erzählten wir noch von unseren kleinen Abenteuern im Schnee, wobei Mutter Löcher stopfte und die recht armselige Nachkriegskleidung ausbesserte. Oft erzählte sie uns Mädchen auch noch Begebenheiten aus der Kriegszeit, als fremde Menschen sich mit „Heil Hitler“ in unserem Elternhaus einquartierten – und bei einer Verweigerung die Mutter durch Drohung mit Konzentrationslager in Todesangst versetzten. Wie lieblos konnten Menschen sein, dachte ich im kindlichen Schmerz – und wenn uns Mutter dann noch manche Geschichten von bitteren Zeiten aus ihren Kindheitstagen erzählte, wussten wir Kinder sie auf unsere Weise zu trösten.  Dennoch waren es schöne Stunden, vereint am warmen Herd zu sein, denn in der Küche vollzog sich ja der hauptsächliche Teil unseres Lebens, weil es damals noch üblich war, dass man das Wohnzimmer nur an bestimmten Festtagen öffnete.

Manchmal gab es auch trübe Stunden, denn wenn die Eltern sich zerstritten hatten, empfanden meine Schwester und ich großes Herzeleid. Und dann kam wieder jene kindliche Schwermut über mich, die ich an meinem linken Daumen abzulutschen versuchte. Noch heute ist dieser Daumen etwas kleiner, aber niemand konnte mich von dieser intensiven Sucht befreien, mit der ich schon als Sturzgeburt in diese Welt eingetreten sein sollte – und – die mich viele Jahre im Griff hielt. Ja, sehr, sehr viele Jahre.

Wie glücklich konnten wir Kinder wieder sein, wenn  wieder Frieden zwischen den Eltern war und meine Schwester und ich beteten dann ganz innig zum lieben Gott, dass er doch die Eltern beschützen möge.

Ein Kinderherz kann bitter leiden, wenn eine solche Disharmonie die Liebe vertreibt und ich nahm meine Lumpenpuppe ans Herz, betete mit ihr, um als ihr Mütterlein bald traurig einzuschlafen. Aber unser Gebet mochte wohl nicht zum lieben Gott in den Himmel gedrungen sein, denn nach meinem sechsten Lebensjahr wurde unser Leben von einem großen Leid heimgesucht.........

                                                                                                                                       

Mutter stürzte in einem Nachbarhaus die Treppen hinunter und ich war erschrocken, als ich von der Schule, die erst vor wenigen Monaten für mich begonnen hatte, nach Hause kam und sie schmerzgekrümmt  in einer Sitzecke der Küche vorfand. Da man ja nach dieser Kriegszeit noch medizinischen Mängel unterlag – und der einzige Arzt in unserem Ort nicht diagnostizieren konnte, dass die Wirbelsäule angebrochen war, konnte eine gezielte Behandlung nicht erfolgen, wodurch sich die Absplitterungen täglich tiefer durch die Wirbel bohrten und Mutter unter fast irrsinnigen Schmerzen litt.

Bald begann sich eine Lähmung über ihren gesamten Körper auszudehnen und ich sehe sie noch heute, total verkrümmt letzte Gehversuche unternehmen, bis sie dann gänzlich zusammenbrach und im Bett liegend grauenvoll stöhnte.

Unser Arzt, der durch den Tod seiner beiden Kinder  in eine schwere Lebenskrise geraten war, konnte in seinem seelischen Schmerz wohl auch deshalb nicht die Folgen von Mutters Unfall erkennen und wir waren alle ratlos und verzweifelt, da die Mutter zu sterben drohte.  Ein Bruder meines Vaters, der damalige Bürgermeister seiner Heimatgemeinde, setzte sich dann für unsere Not ein und ließ Mutter in ein

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Krankenhaus einweisen, um von einem ihm befreundeten Professor der Chirurgie die überfällige Operation durchführen zu lassen.

Er rettete zwar das Leben der Mutter, das allerdings nur noch ein Krüppeldasein war.

Während dem nächsten Jahrzehnt lag sie in totaler Lähmung in der Schlafstube unseres Hauses und rang oft mit dem Tode, weil das Herz auszusetzen drohte. Da ja Vater meist auf Geschäftsreisen war, schliefen wir Kinder neben ihrem Bett und weinten bittere Tränen über dieses Schicksal. Öfter kam dann der gütige und schon ältere Pfarrer unserer Gemeinde in unser Haus zur Mutter, um ihr nach katholischer Sitte die letzte Ölung zu spenden und es war ein fürchterliches Ringen mit dem Tode, worunter wir alle sehr litten. Es bedeutete ja doch endgültiges Sterben, Tod.

Als wieder einmal das Herz der Mutter auszusetzen drohte, sie mit tintenblauem Gesicht röchelte,  kletterte ich verzweifelt auf ihren Bettgiebel hinauf und holte das Kreuz von der Wand, an dem Jesus mit Palmenzweigen geschmückt angenagelt war. Laut rief ich ihn um Hilfe an. Meine Kindertränen strömten dabei reichlich über sein lebloses Holzgesicht, aber ich glaubte fest daran, dass er, nur er noch helfen konnte.

Sicher hat mein Kindergebet aber den Jesus erreicht, der nicht als tote Holzfigur, sondern als der auferstandene Christus über Leben und Tod alles Heil vollziehen kann; denn unsere Mutter lebte nach fast vierundvierzigerjähriger  Querschnittlähmung, als sie in den Armen Jesu am 11. November des Jahres 1991 verstarb.

Doch welch ein Hiobsleben unter dem Kreuz hatten wir damals durchzustehen und ich saß als kleines Mädchen viele Nächte bei der gelähmten Mutter, um ihre absterbenden Glieder zu massieren.

Obwohl übermüdet, war ich sofort hellwach, wenn sie qualvoll stöhnte.

                                                                                                                                                        

Wir Kinder lernten die Mutter zu füttern und freuten uns über jeden kleinen Fortschritt einer Besserung.

Auch Vater half in seiner Freizeit so gut wie möglich mit, das schwere Los zu teilen. Da er aber beruflich meist nicht zu Hause war, oblag  uns fast ausschließlich die Pflege der Mutter und die Haushaltsführung. Personal hätten wir uns in jenen Jahren nicht leisten können, da noch Abzahlungen für unser Elternhaus fällig waren, wobei die Mutter in späterer Zeit sehr dankbar war, dass wir trotz allen Elendes irgendwann ein schuldenfreies Haus hatten.

Soziale Hilfeleistungen oder Unterstützung finanzieller Art für Behinderte gab es ja damals noch nicht und so begann der von Mutter zuvor gepflegte Haushalt unter unserer Kinderführung stark zu leiden. Fast alles wurde zum Chaos, das man kaum noch in den Griff bekam.

Töpfe standen oft auf dem Fußboden, weil die Spüle mit anderem Geschirr überladen war und schmutzige Wäscheberge stapelten sich auf, welche bald modrig rochen.

Am Wochenende entzündete Vater dann das Feuer unterm Kessel in der Waschküche, um all die Wäsche gründlich durchzukochen. Gemeinsam hängten wir sie auf der Gartenleine auf, wo sie oft tagelang hängen blieb und verwittert meist einer erneuten Reinigung bedurft hätte. Dennoch stapelten wir sie ungebügelt in den Wäscheschrank hinein und waren froh, wenn wir uns dieser Last entledigt hatten. So wuchsen wir Kinder wie die Wilden heran und waren oft sehr traurig, wenn wir die Nachbarskinder in ihren heilen Familien sahen.

Während der ersten und schlimmsten Jahren in unserem Elend kamen öfter barmherzige Nonnen aus dem Petersberger Schwesternhaus zur Mutter, welche mit

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ihren langen Gewändern und Schleiern einen Hauch Gottesliebe in die Krankenstube brachten. Ein solcher Eindruck versetzte mich in kindliche Ehrfurcht.

Sie wechselten Mutters Katheter, sorgten für ihre körperliche Reinigung und lehrten uns Mädchen, den Bettschieber und Gummireifen unter Mutters Gesäß zu schieben. Ich überwand den Schmerz, da es meist durchgelegen war und in blutig offener Wunde brannte. Diese gütigen Schwestern waren uns eine große Hilfe und manchmal saßen sie übermüdet neben der Gelähmten, beteten einen Rosenkranz oder nach katholischer Art zu einem Heiligen, in dem sie einen besonderen Fürbitter sahen.

Eines Tages kam dann die Stunde, in der Mutters Blase wieder die Funktion aufnahm und der Katheter nicht mehr benötigt wurde. Welch eine Freude war diese Ersterlösung für uns alle und wir hatten große Hoffnung, dass noch weitere Wunder geschehen würden.

 

Zwischen meinem siebten und achten Lebensjahr hatte ich schon viele – nicht kindgemäße Aufgaben zu erledigen und mit meiner Schwester gelernt, Haus und Gartenarbeit in den Griff zu bekommen.

Bloß die Nächte, die vielen schlaflosen Nächte, doch Mutters Kämpfe waren wichtiger. Nein, sie sollte und durfte nicht sterben und ich musste auf einen gesunden Schlaf verzichten. Obwohl oft restlos übermüdet, bedeutete die Schule für mich eine angenehme Abwechslung und trotz aller häuslichen Misere brachte ich immer ein sehr gutes Zeugnis mit nach Hause. Öfter verkroch ich mich in unsere alte Bergkirche, um in stiller Andacht nachzudenken.

Vor all den Heiligenfiguren aus Holz und Gips versunken, hatte ich das Gefühl, dass sie wirklich lebten und mich in meiner kindlichen Schwermut trostvoll anzulächeln schienen. In diesen alten Gemäuern roch es irgendwie modrig und ich hatte oft große Angst, dass da irgendwo eine unsichtbare Gestalt war, oder gar ein Gespenst? Wenn mich ein solch gruseliges Gefühl beschlich, raste ich förmlich aus der Kirche hinaus, während dieser seltsame Geruch mich mitzurasen schien.

Einmal im Jahr wurde in dieser Kirche ein besonderes Fest zu Ehren ihrer Schutzpatronin gefeiert und man bekam in einer goldenen Monstranz verborgen, einen Knochensplitter von St. Lioba auf die Stirn gelegt.

Viele Wallfahrer kamen dann von nah und fern, um an diesem Fest teilzunehmen – und ich musste dabei an frühere Wallfahrten denken, als die Mutter noch gesund war und mit uns Kleinkindern andere Wallfahrtsorte besucht hatte. Auf Knien betend, gaben sie Maria oder anderen verstorbenen Heiligen die Ehre.

Meist standen da irgendwelche Buden herum, an denen man Andenken kaufen konnte und Mutter nahm immer eine Flasche Weihwasser mit nach Hause, um uns Kinder täglich damit zu besprengen, auch ein Kreuzchen auf die Stirn zu machen. Von diesem Fest in unserem Ort brachte ich nun Mutter jährlich eine Flasche Weihwasser mit, worüber sie sehr glücklich war und uns alle vom Bett aus weiter besprengte.

Nie durften wir das Haus verlassen, ohne uns vor ihr niedergebeugt zu haben, um mit dem Kreuz auf der Stirn gesegnet zu werden.

In meinem neunten Lebensjahr durfte ich dann den Tag meiner Erstkommunion erleben und eine Tante kam zu diesem Anlass, um mich gründlich zu schrubben. Ein weißes Brautkind musste ja vor allem äußerlich schön und rein sein, aber zuvor auch in einer ersten Beichte allen Sündenballast loswerden.

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Was kam da alles ans Licht: Naschen, Ungehorsam und mancher unrechte Gedanke. Welcher war es eigentlich, den ich aus meinem schwerbelasteten Kinderherzen heraus stammelte.... ich habe, ich habe, ich habe, ja, was ich eigentlich getan hatte, hatte ich sicherheitshalber zuvor auswendig gelernt.

Von solchen „Sünden“ sprach mich dann der Pfarrer im dunklen Beichtstuhl los. Danach stammelte ich mein Bußgebet vor mich hin.

Am Morgen meiner Erstkommunion war mir sehr übel, was vielleicht nicht nur der Aufregung, sondern des leeren Magens wegen zustande gekommen sein mochte. Man durfte damals nur nüchtern den Leib des Herrn empfangen.

Während des Gottesdienstes und inmitten der anderen Kinder verlor sich dann wieder diese Übelkeit – und wir durften dann alle nach dem Widersagen des Satans jubelnd den Herrn Jesus besingen, welcher dann in der kleinen Hostie verborgen in mein Herz einzog. Wie krampfhaft war ich bemüht, ihn nicht mit den Zähnen zu berühren, da man nach damaliger Lehre den Herrn Jesus zerbissen hätte.

Die kleine Feier, die dann nach dem Gottesdienst bei der gelähmten Mutter in der Stube stattfand, wurde durch ein Geschenk meiner gütigen Taufpatin gekrönt, denn sie brachte mir ein neues Bettkissen mit, das sie mit den Federn der Gänse auf ihrem Bauernhof selbst gefüllt hatte. Als sie mir dann noch ein knallrotes Lacktäschchen überreichte, konnte ich vor Entzücken nur staunen, denn noch nie hatte ich ein solches Täschchen besessen und freute mich arg, wenn andere Kinder diese Rarität bestaunen würden.

                                                                                                                                                    

Am Abend durchträumte ich noch eine ganze Weile auf meinem neuen Federkissen liegend – diesen besonderen Tag und durchlebte wieder einmal recht schwermütig  meine innere Einsamkeit, die mich so oft beherrschen durfte. Dabei schaute ich durch das Fenster hinauf in den sternenübersäten Himmel und sah in meiner Fantasie den lieben Gott, Jesus und Maria inmitten vieler Engel in einem wunderschönen Königreich wohnen. Dabei musste ich wieder an die so holdselige Dame denken, welche mir im dritten Lebensjahr erschienen war . Ob sie droben hinter den Himmelstoren noch an mich dachte? Und vielleicht auch an meine wesentlich duldsamere Schwester Annemarie? Nach solchen Gedanken überlegte ich, weshalb man vor dem lieben Gott katholisch sein musste, um besonders geliebt zu werden und während ich meine schlafende Mutter neben mir betrachtete, dachte ich mich in sie hinein, die uns zwar sehr katholisch erzogen hatte, aber nie einen Unterschied zwischen Konfessionen hatte spüren lassen, sondern noch in gesunden Tagen mit evangelischen Nachbarn stets eine sehr freundliche Verbindung gepflegt hatte. Unter solchen ungelösten kindlichen Problemen schlummerte ich dann allmählich in den Nachtschlaf meines Weißen Sonntages hinein.

                                                                                                                                                           

Eines Tages zog nun eine evangelische Flüchtlingsfamilie in unser Haus ein und es war recht abenteuerlich, als sie verschiedene Möbelstücke und Pakete hinauf in das Obergeschoss brachten und so manchen Hausrat, den wir Kinder bestaunten. Diese nette Familie hatte zwei Buben in unserem Alter, meine Schwester konnte mit dem älteren und ich mit dem mir gleichaltrigen Buben eine gute Freundschaft beginnen. In dieser Nachkriegszeit lebten Familien häufig mit mehreren Personen in einer kleinen Wohnung.

In dem Schlafzimmer unserer Flüchtlingsfamilie schliefen Großeltern, Eltern und Kinder beieinander und wenn ein Gast kam, oder sogar mehrere, wurde zusätzlich jeder darin einquartiert. Das alles war recht romantisch für mich und ich empfand es

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als eine sehr schöne Zeit, mit diesen Menschen gemeinsam zu leben, zumal sie nun auch einige Lasten von uns Mädchen nahmen.

Der alte Flüchtlingsopa baute bald hinter unserem Haus eine große Holzscheune auf, um erneut Viehzeug zu halten. Irgendwann wurden nach Mutters Unfall alle Haustiere geschlachtet, denn es wäre eine Überforderung gewesen, dass wir Kinder sie weiterhin hätten versorgen können. Wie lieb waren sie alle, diese Menschen, dachte ich immer wieder und der Opa erzählte uns manche Geschichte aus seinem Leben, der ich gespannt lauschte. Seine Frau, die Oma – strickte dabei irgendwelche Socken oder anderes Zeugs, während sie durch manch eine Zwischenrüge ihren Mann unterbrach.  Auch der Buben Mutter war eine gütige Frau und sie hörte mir ernsthaft zu, wenn ich ihr manche Sorge anvertraute.  Wie wunderbar verstand sie mich zu trösten....

Es war auch ein aufregendes Spiel, sich auf dem neuen Heuboden zu verstecken. Wie oft lag ich auch allein da oben, um mich unbeachtet der Stimmung hingeben zu können, glücklich oder unglücklich zu sein.

Öfter lag ich auch im hinteren Gartenteil unter unserem Holunderbaum, um mein erwachendes Mädchenherz zu erforschen und wenn ich tief in mich hineinhorchte, schien da ein Traumprinz auf mich zu warten, der mir alle, alle Liebe schenken würde, nach der ich mich sehnte.

Irgendwie erschien er mir so nahe, aber auch unerreichbar fern zu sein und ich fühlte mich in das Märchen von Dornröschen versetzt, das verzaubert im Schloss  so lange schlief, bis es von seinem Traumprinzen aus diesem Bann wachgeküsst wurde, um mit ihm endlich vereint in ein Leben aller Liebe zu schreiten. Ob ich ihn jemals finden würde?

In jenen Jahren hatte ich oft einen schrecklichen Albtraum, der mich in Angst und große Panik versetzte. Von irgendeiner Höhe stürzte ich tief hinab in eine schwarze Schlucht, welche auch einem finsteren Tunnel ähnelte. Während ich tiefer und tiefer fiel und während dieses Todessturzes laut um Hilfe schrie, fing mich inmitten dieses Fallens eine gute Macht auf, die mich vor dem tödlichen Absturz errettete. O, welch eine Liebe durchströmte mich durch diese Macht, obwohl ich nach dem Erwachen aus diesem Albtraum noch am ganzen Körper zitterte und an den Todessturz denken musste. Durch mein lautes Schreien aufgewacht, versuchte mich meine gelähmte Mutter zu trösten und ich war in solchen Stunden sehr dankbar, dass ich neben ihr schlafen konnte. Seit langer Zeit weiß ich, wer diese gute Macht war und das die Albträume meiner beginnenden Mädchenzeit eine sehr ernsthafte Bedeutung hatten.

Jesus, nur er war diese gute Macht gewesen und auch er, nur er - befreite mich dann in späteren Jahren aus anderen „Todesstürzen“ und wurde zum Lebensretter meiner Seele.

                                                                                                                                                  

In meinem zwölften Lebensjahr kam dann der Tag meiner Firmung, dem ich bange, oder unter gemischten Gefühlen entgegensah. Ältere Lausbuben wussten von der Ohrfeige  des Bischofs zu berichten, der unter einem solchen Beweis die Kraft des Heiligen Geistes bezeugte. Das stimmte allerdings nicht, wie ich an diesem Tag erfuhr und unter den vielen Firmlingen einen recht gnädigen Bischof erlebte. Die Salbung des Heiligen Geistes schien sich zumindest bei mir in irdischer Freude zu vollziehen, denn mein Firmgeschenk, eine erste Armbanduhr war die eigentliche Krönung des Tages. Natürlich hätte ich mich gehütet, das in der Christenlehre zuzugeben. Eigentlich war es noch eine schöne Gemeinschaft mit meinen ehemaligen Mitschülern eine solche Glaubensstunde zu verbringen, denn nach meiner vierten Volksschulklasse hatten mir meine Lehrer geraten, eine

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weiterführende Schule zu besuchen und ich hatte den erforderlichen Test dazu auch mit einer guten Benotung bestanden. Allmählich hatte sich auch die Lähmung der Mutter im oberen Körperbereich  verflüchtigt und wenn zunächst auch sehr mühsam, so saß die nun Querschnittgelähmte am unteren Bettende.

Lange Zeit mussten wir Mädchen sie in diese Sitzhaltung emporziehen und es kostete uns oft alle  Kraft, ihren steifen und verkrampften Körper in diese Lage zu bringen. Wir stapelten dann Kissen unter ihrem Rücken auf, damit sie nicht wieder zurückgefallen wäre und Vater besorgte einen Zweiplattenherd, den er auf einen kleinen Holztisch ans Bettende stellte. Obwohl wir ja immer Mutters verlängerter Arm sein mussten, konnte sie doch allmählich wieder für uns sorgen und sie war freudig überrascht, wenn ich ihr aus meiner neu erlernten Sprache englische Geschichten erzählte. Da ich sehr sprachbegabt war, wollte ich auch Französisch lernen, gab jedoch nach einigen Kursen auf, da diese Lehrerin mich überhaupt nicht leiden konnte und mich das immer wieder schmerzlich spüren ließ. Wie sehr demütigte sie mich, wenn sie mich nicht namentlich ansprach, sondern mich nur als.... „DIE, dort, mit dem langen Oberkörper“ in eine peinliche Blamage brachte.

Wenn ich dann ein französisches Gedicht fließend vortrug, war ich dann für sie dennoch nur: „Die da, oder diese: Stock!“ Später bedauerte ich es sehr, dass ich auch diesbezüglich kapituliert hatte, denn Mutters Urvorfahren entstammten einem Adelsgeschlecht aus Frankreich, von dem noch ein Wappen in unseren Familien zeugt.  Wenn ich es ab und zu einmal in unserer Wohnhalle betrachte, über das rote Feld mit dem blauen Balken – besetzt mit Perlen – nachsinne und mir den gekrönten Helm mit den drei Straußenfedern der einstig „hochangesehenen“ Familie (Gutberlet) vorstelle, beschleichen mich eigenartige Zweifel.

                                                                                                                                                               

Als wir vor Jahren in Frankreich waren, hatte ich in der ersten Nacht einen Traum. In diesem war ich nach langer Irrfahrt in das Schloss meiner Urväter zurückgekehrt und spürte bewusstseinsmäßig,  dass mich die gute Macht meiner Kindheit – wie in vielen Albträumen – vor erneuten  zu befreien gedachte.

Später, viel später durfte ich durch Gottes unendliche Liebesgnade begreifen, wie er durch die Bibel ganz persönlich antworten kann. Besonders die Propheten begann ich zu schätzen, zu lieben.

Doch das konnte ich in damaliger Zeit noch bei weitem nicht begreifen und saß oft unter Kanzeln, wo ein für mich unverständliches Evangelium gepredigt wurde. Vieles konnte ich nicht in eine Frohbotschaft einordnen und fühlte mich zwischen meinem 15. oder 16. Lebensjahr auch restlos überfordert, den häuslichen und schulischen Pflichten in vollem Umfang gerecht zu werden. Alles in mir schrie nach Ruhe und Freiheit welche ich nie durchleben durfte. Wie sehnte ich mich nach einer Erfüllung meiner wahren Wesensart, die mir zwar noch ziemlich verschleiert war, aber irgendwo in schöngeistiger und mitfühlender Feinheit in zwischenmenschlichen Bereichen zu schlummern schien. Unter großen Anstrengungen musste ich mich mit dem mathematischen Lehrstoff abquälen, zu dem ich überhaupt keine Beziehung hatte. So verließ ich nach gründlicher Überlegung die Schule, um mein Leben anders zu gestalten. Gespräche mit notleidenden Menschen, ja, die unerforschbare Psyche in zwischenmenschlichen Bereichen schienen mich tief im Herzen glücklich zu machen. Ich begann zu ahnen, dass eine solche Aufgabe eher meiner Berufung entsprach und schrieb kleine Verse und Gedichte in mein Tagebuch. Meist war es nur ein alter Notizblock, um die noch unklaren Empfindungen auszudrücken. Kleine Dichterin, nannte mich oft Mutter, weniger Vater, für den das alles eine brotlose Kunst war. Doch half mir diese Flucht in eine Traumwelt, um weiterhin der gelähmten

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Mutter zu dienen. Am unteren Bettende sitzend, war sie zwar immer noch sehr hilflos, wusste sich aber nun dominierend zu behaupten. Sie band mich wohl unwissentlich in eine Abhängigkeit, die oft über meine Kraft hinausging – und ich war nie frei von Schuldgefühlen, wenn ich mich nicht ihrem Willen beugte.                                                                                                                          

 

Durch diese Not gab es auch nicht wenige Zerwürfnisse zwischen den Eltern, unter denen ich fürchterlich litt.

Vater kam oft spät nachts nach Hause, um solchen Disharmonien auszuweichen und meine Schwester, die mittlerweile verheiratet war und mit ihrem Mann in Hanau lebte, vermisste ich sehr, da sie ja meine beste Unterstützung gewesen war.

Wir alle hatten  einfach nicht mehr die Kraft, uns von jahrelangen Zwängen durch Elend und Krankheit beherrschen zu lassen, mussten wahre Empfindungen verdrängen, was letztlich eine Zerreißprobe war.

Manche Rebellion war dann unausweichbar und ich hätte am liebsten diese Ketten gesprengt, die alle Seelenkraft lähmten. Die Rosenkranzkette meiner betenden Mutter schien auch keine Erlösung zu bringen, sondern mich noch in tieferes Leid einzubinden. Aus diesem Engpass flüchtend, fuhr ich öfter auf dem alten und stark verrosteten Fahrrad meines Vaters in die Weiten der Natur und konnte mich zunächst körperlich von manchem Frust freistrampeln. Manchmal radelte ich zu den entfernten Bauernhöfen meiner Verwandten, die mich immer liebevoll begrüßten und mich mit einem kräftigen Bauernfrühstück beglückten.

Vaters Schwester lebte in einer alten Mühle, hinter der ein rauschender Mühlbach floss.  Welch eine seltsame Ruhe übertrug er auf mich. Wie gerne saß ich eine Weile träumend am Brückensteg und dachte mich in den ruhelosen Bach hinein. Schien er nicht irgendwie meine inneren Nöte zu teilen? Doch, irgendwie schon und ich ließ mich fallen, hineinfallen in mich selbst...

Wenn ich dann wieder meine Verwandten dankbar verließ, nahm ich noch einen stummen Abschied vom Mühlbach  und dem alten Mühlrad, von dem mir oft mein mehlbestäubter Onkel nachwinkte, während die gute Tante mit ihren Kindern mich bis zum Hoftor begleiteten. Zu Hause endeten dann meine aufbauenden Erlebnisse meist wieder in einer Disharmonie und ich musste manche Schwermut durchleiden, in der ich mich in irgendeinem Kornfeld verkroch. In meiner Fantasie schienen die Kornähren mir im sanften Wind ein Liebeslied zu singen und es waren sehr glückliche Augenblicke, mich hineinzuversenken. Manchmal zog es mich auch in unser Wäldchen am Ortsrand, in dem ein alter Turm stand, auf den ich über eine Wendeltreppe hinaufkletterte und oben auf dem Freisitz königliche Märchenweiten genoss.

Welch eine köstliche Stille, die nur mein kleiner Hund ab und zu mit seinem Bellen durchbrach. Dieser kleine Bastard zog überall mit mir umher und er scheute keine Mühe, mir bei meinen Fahrradtouren nachzurennen. Auf meinem Türmchen im Wald am Rauschenberg – blickte er immer wieder einmal hinauf zu mir, um danach die Umgebung zu durchforschen, damit sein Frauchen wohl vor Feinden geschützt sei. Er schien voll und ganz damit einverstanden zu sein, wenn ich in irgendeinen Block meine Sehnsucht nach Liebe, Reinheit und einer heilen Welt niederschrieb oder versunken in manch einem Buch las, welches meist ein Liebesroman war. Solche konnte man damals noch für wenige Groschen an einem Kiosk leihen, was allerdings wieder meinen Vater erzürnte, der skeptisch eine solche Schundliteratur ablehnte. Für mich zählten aber in solchen Romanen nur die Liebe und das Happy-End nach vielen traurigen Schicksalen.

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In dieser Phase meiner Mädchenjahre habe ich immer wieder von einem Märchenprinzen geträumt, der mich irgendwann einmal in ein glückliches Eheleben führen und alle Wunden der vergangenen und gegenwärtigen Zeit vergessen lassen würde. Aus diesem Grunde hielt ich meinen Körper rein und hätte es als Beschmutzung empfunden, wenn irgendein männliches Wesen mich anzutasten gewagt hätte. In der damaligen Zeit war man mit 15 Jahren wirklich noch ein Kind, aber ist nicht jedes „Kind“ auch neugierig? Besonders dann, wenn es so wenig von einem Sexualleben wusste.

 

 

So erfuhr ich von einigen Freundinnen geheimnisvolle Offenbarungen einer Intimwelt, über die man in meinem Elternhaus peinlichst schwieg und sie als unkeusch verwarf. Bei abendlichen Spaziergängen erfuhr ich von einem Mädchen die erniedrigenden Umstände eines Sexualvorganges, den sie heimlich bei ihren Eltern beobachtet hatte und mir auf das ärgste zu schildern wusste. Welch ein Ekel erfasste mich bei diesen Erzählungen, ja, es packte mich Angst und Panik, die mich lange Zeit verfolgte.

Waren Männer solche Wüstlinge?, fragte ich mich entsetzt und ein seniler Greis in unserem Ort schien das auch noch zu bestätigen; denn wann immer er im Garten saß, entblößte er sich vor jungen Mädchen und bettelte dann mit zittriger Altstimme, dass man seinen Trieb befriedigen möge. In Angst und Panik rannte ich davon, wenn er auch bei mir solche Versuche zu praktizieren gedachte. Foltergedanken quälten mich Nächte hindurch, wie abstoßend das männliche Geschlecht sein müsse.

Nein, all diese Gedanken wollte ich in der Tiefe meines Unterbewusstseins begraben, in dem sie verschüttet bleiben sollten. Dieses Verdrängen half mir zunächst, doch noch an das Gute zu glauben und ich verschlang mehr denn je Bücher, in denen mein Jungmädchenherz manchen Traumprinzen fand. Da ich mich aber äußerlich noch nicht annehmen konnte, versuchte ich zunächst meinen Babyspeck abzufasten und machte Abend für Abend einen strapaziösen Dauerlauf, wonach ich Monate später eine sehr hübsche Figur hatte. Meine dicken Zöpfe durfte ich mir nun abschneiden lassen und in dem schwarzbraunen Kurzhaarschnitt strahlte ich aus meinen großen, ebenso schwarzbraunen Kulleraugen über diese Verwandlung. Mutter nähte mir aus preiswerten Stoff manch duftiges Kleidchen, was ihr, am Bettende sitzend, sicher sehr viel Mühe bereitet hat. Konnte sie ja nur alles nur von Hand anfertigen. Liebevoll massierte ich ihr dann ihre gelähmten Glieder, um meine Dankbarkeit zu bezeugen. Meine Eltern gewährten mir dann auch den Wunsch, dass ich in einer Fremdsprachenschule meinen hungrigen Geist weiterentwickeln konnte, was allerdings nur durch Abendkurse geschah. Durch Gelegenheitsjobs versuchte ich mein karges Taschengeld aufzubessern, das eher aber mein Lohn war. Denn in Mutters Stube von einer Firma Handschuhe zusammenzuflicken und für diese langweilige Arbeit einen Wochenlohn von fünf Groschen zu verdienen, das konnte und wollte ich mir nicht länger antun.

 

So ging ein 15 jähriges Mädchen heimlich auf Job Suche.

Mutter die mich mit Kosenamen Lori nannte, wäre sicherlich damit nicht einverstanden gewesen, dachte ich gedankenverloren ... während ich durch Fuldas Straßen schritt. Bloß jetzt nicht daran denken, überlegte ich, als ich mich vor dem damaligen Europa Palast Kino wieder fand.

Und wie elektrisiert ein Schildchen mit folgender Beschriftung las:

Empfangsdame zum sofortigen Eintritt gesucht!

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Mein Problem schien gelöst. Mutig und entschlossen ging ich in das Kino hinein, klopfte an eine Büro Tür, hinter der mich eine männliche Stimme herein bat. Welch ein wunderschöner Herr, dachte ich versonnen, stellte mich artig vor und erfuhr bald, dass ich vor dem leitenden Geschäftsführer Herrn „Pearl“ (Name verändert) stand. Welch eine ausstrahlende Persönlichkeit, dachte ich verträumt, aber auch schüchtern und brachte zunächst kein Wort hervor. „Was kann ich für dich tun, Mädchen?, unterbrach er die Stille, „bitte stellen sie mich als Empfangsdame ein! Aber falls möglich, nur in den Abendstunden von 9 bis 11 Uhr, da Mutter mich am Tag benötigt! Und fünf Mark Wochenlohn würden mir sehr helfen.“ „Ich kann doch ein Kind nicht einstellen, „Kleine“, selbst für fünf Mark Wochenlohn nicht. Würde ich mich vor dem Jugendschutzgesetz schuldig machen!“ „Bitte geben sie mir die Chance, Herr Pearl, wir haben nur wenig Geld im Haushalt und die gelähmte  Mutter....“

Präziser erzählte ich dann von all dem häuslichen Leid, weshalb ich ja auch vorzeitig die Realschule verlassen hatte.

„Na, gut, Mädchen, wollen wir es für eine Probewoche versuchen, startet eine neue Filmserie und ich benötige dringend eine Hilfe. Aber nur mit Blitzlichteinführung und mit der Unterschriftserklärung deiner Mutter.

Die musst du mir am morgigen Abend zeigen.“

Ich war glücklich, sehr glücklich und raste im Dank aus dem Büro.

Ein Kind, hörte ich ihn noch besorgt flüstern, na, der wird sich wundern, wie man sich verändern kann.

Unter diesen und anderen Gedanken raste ich die Petersberger Straße hinauf, stand schon bald vor der gelähmten Mutter, um ihr nicht nur einige Groschen abzubetteln, sondern auch die notwendige Unterschrift, um als „Empfangsdame“ Geld zu verdienen.

„Fünf Mark, Mutti, stelle dir diesen Reichtum vor“, versuchte ich sie zu überzeugen, während ich ihr kräftig den Rücken massierte.... und endlich die Unterschrift bekam. Danach raste ich eiligst die Petersberger Straße hinab, fand bei Kerbers Karlchen, so nannte man das damalige Kaufhaus, einen knallroten Lippenstift für 5O Pfennige. Einen goldenen Metall Gürtel hatte ich mir schon einige Zeit in diesem Laden gekauft, für eine Mark und vom Lohn meiner Heimarbeit. Und der nächste Abend kam. „Ich werde pünktlich zu Hause sein, Mutti, mache dir keine Sorgen.“

Natürlich weinte sie bitterlich, aber das war ich ja gewohnt. Draußen im Hauseingang vor dem großen Spiegel trug ich meinen knallroten Lippenstift auf, toll. Auch im alten, schwarzen Baumwollkleidchen mit dem Goldmetallgürtel schaute ich recht damenhaft aus, bloß die hochhackigen Pumps mit Pfennigabsätzen schmerzten recht ordentlich, aber was tat – oder ertrug man nicht, um fünf Mark zu verdienen. Pünktlich gegen 8 Uhr 3O schritt ich auf Herrn Geschäftsführer zu, um ihn strahlend zu begrüßen. Doch wie schaute er mich an? Entsetzt blickte er auf seine neue „Empfangsdame“ nieder? Noch ehe ich mich besinnen konnte, zog er ein Tempo Taschentuch aus seinem Smoking, um meine wunderschönen knallroten Lippen zu entschminken. Und das gründlich.

Restlos verwirrt starrte ich ihn an, während er sehr skeptisch meinen Metallgürtel betrachtete. Gott sei Dank nahm er mir diesen nicht auch noch ab, hätte ich in meinem schlottrigen Kleid tatsächlich wie ein Kind ausgeschaut. „So, Kind, nimm diese Taschenlampe, bald werden die ersten Gäste kommen!“ Und baldigst schritt er mit mir in den stockfinsteren Kinoraum, Mutters Unterschrift hatte er flüchtig

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durchgelesen, um mir zu erklären, wie ich nummerierte Reihen zu beleuchten hatte. Dabei schaute er mich irgendwie gütig und väterlich an.

Schade, nicht verliebt, dachte ich, während die ersten Gäste kamen. Diese zeigten mir ihre Karten, mit denen ich sie in die stufenartig abfallende Reihenfolge einplatzierte. Mittlerweile war der Saal voll und ich freute mich, an einem Eckplätzchen endlich mal einen Heimatfilm zu genießen. Schon begann die Leinwand in wunderschöner Farbpracht zu leuchten, aber wiederum stand unerwartet Herr Geschäftsführer Pearl vor mir, um mich aus dem Kinosaal zu entführen.

„So, Kind, nun setze dich in diese Nische“, platzierte er mich wiederum mit allzu gütigen, väterlichen Worten in meine „Rangordnung“ ein, während ich unter seiner Beobachtung in der fast zweistündigen Ruhezeit zumindest meine Gedanken baumeln lassen konnte. Aber auch die hochhackigen Pumps baumelten mal rechts, mal links, was den schmerzhaften Füßen gut bekam.

 

Nach einer Woche:

Völlig übermüdet verließ ich in den nächtlichen Stunden das Kino, als ich durch Schleichwege verkürzt, neben dem damaligen Kornhaus, einem Schock ausgeliefert war. Es war eine Vollmondnacht!

Geisterhaft durchstrahlte dieser mächtige „Feuerballon“ nicht nur das himmlische Wolkenland, sondern auch unter diesem die eine oder andere  Hinterhofgasse. Doch welch ein Gespenst stand da plötzlich vor mir?

Ein völlig nackter Mann, dessen Glied sich immer mehr verlängerte, versteifte? Und dieser Glatzköpfige schritt auf mich zu?  Mein Herz begann zu rasen und eine Panik ergriff mich. So schnell wie nur möglich rannte ich um die Ecke, zog rasch meine Pumps aus, um barfuss vor der damaligen Lioba Apotheke mir eine Verschnaufpause zu gönnen.

Noch immer unter Schock und Todesangst schaute ich die lange Straße hinunter – und – konnte erst mal durchatmen. Das nackte Ungeheuer hatte mich nicht mehr verfolgt, dennoch, man konnte nie wissen. So raste ich den Ziegelberg hinauf, stand endlich vor meinem Elternhaus und legte mich neben die gelähmte Mutter. Ich erzählte ihr von diesem Monster, was ich lieber nicht hätte tun sollen, denn ihrem absoluten Verbot zu einer Weiterarbeit musste ich mich beugen. So saß ich am nächsten Mittag verängstigt vor Herrn Pearl, erzählte ihm diese Geschichte, die er mir gütigst zu erklären verstand. Nun wusste ich auch, was Exhibitionismus bedeutete und mein Chef verabschiedete mich von meinem Dienst.

Dankbar nahm ich meinen Wochenlohn von fünf Mark an, während er mir noch gütigst versicherte: „ Eigentlich bist du ja viel zu klug, für solch eine Arbeit, aber vielleicht kannst du ja später, wenn der Europa Palast abgerissen ist, im neuen Kino am Bahnhof als Empfangsdame wirken. Es wird zwar noch eine Weile dauern, aber dann bist du zumindest kein Kind mehr“.......

Traurig lief ich bald vor Ruinen am Kino entlang, beobachtete, wie man das alte Kaufhaus Kerber erweiterte. In jenen Zeiten ahnte ich noch nicht, dass ich tatsächlich später im neuen Kino am Bahnhof, sowie in diesem Kaufhaus jobbte......

 

Heute, fast noch 64-jährig, durchdachte ich mit meinem Mann Theo damalige Zeiten. „Sollten wir nicht das Alte vergessen, Theo?, fragte ich Ihn ernsthaft, „wo so viel Neues aus unserem Leben geworden ist?“ „Du wartest doch auf Erweckung, Frauchen, habe ich vorhin einen deiner Spickzettel entdeckt, mit folgenden Worten

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aus Wort und Geist:“ Wir sind die Hütte, und bevor Erweckung kommt, müssen wir warten BIS der helle Morgenstern in unseren Herzen aufgeht, aber zuvor tiefgreifende innere Heilung geschehen muss. „Leidest du nicht letztendlich auch noch an Verletzungen, Hannelore?“ „Aber natürlich, lieber Naturbursche, jedoch...“ Schon rast er davon und in seinen geliebten Wald hinein. „Wir sollten doch Zeugnis geben, um anderen Menschen zu helfen“, ermutigte er mich noch im Abschied, während ich schon seinen Oldtimer hörte, auf dem er die untere Dorfstrasse gen Wald fuhr. So versenkte ich mich in meine Biographie, die in einem fertigen Buch vor mir lag. Sah ich damals nicht mehr den großen Bruder in ihm, zudem auch meine Eltern vertrauen hatten? Nur mit ihm durfte ich zumindest ab und zu einmal ausgehen. In meiner noch unterentwickelten Seelekraft lauschte ich gerne seinen Verheißungen über eine Zukunft, die er mir als Landwirt wie ein Märchenland zu schildern wusste. Ich sah mich schon auf einem Pferde sitzend, grüne Auen durchstreifen. Während der nächsten sieben Jahre, hatten wir uns immer wieder einmal getrennt, da ich mehr und mehr erkannte, wie sein bäuerliches Märchenland in harter Realität versank und er sich dieser beugen musste.  Obwohl wir Beide uns durch andere Freundschaften voneinander entfernt hatten, schien es Bestimmung zu sein, dass wir uns dennoch irgendwo wieder einmal begegneten und erneute Gespräche führten.

 

In solchen versprach mir mein Mann, sich von der landwirtschaftlichen Scholle zu lösen und ich musste mich von einer ersten poetischen Jungmädchenliebe trennen, weil meine Eltern brotlose Künste nie gebilligt hätten. Noch immer war ich als 17-jährige zu naiv und unerfahren um Intrigen zu durchschauen, weshalb ich mich entschloss, nun doch meinen Mann zu heiraten und das nach sieben „Prüfungsjahren“.

 

Nun begann allerdings ein harter Lebenskampf, denn mein Mann konnte sich von dem Erbe seiner Väter nicht lösen, und ich musste mich diesem bäuerlichen Leben beugen, wozu mir alle Kraft fehlte. Meine schöngeistige Veranlagung wurde dabei tiefer und tiefer verschüttet.  Obwohl ich mich auf dem Hof und den Feldern abmühte, war ich in meiner Hilflosigkeit wohl nicht nur für manchen Bauern, sondern auch für meinen Schwiegervater eine einzige Enttäuschung. Da er nach über 40-jähriger Tätigkeit als Bürgermeister und Landwirt aber auch überfordert war, konnte ich ihm später auch aus tiefsten Herzensgrund vergeben, wenn er meine Wesensart missverstand. Denn wie hätte ein solch kraftstrotzender Mann begreifen können, dass mich plötzliche Depressionen quälten, eine fast unerträgliche Heuschnupfenallergie und qualvolle Rückenschmerzen zu zermartern drohten? In diesem Zustand versuchte ich dann auch noch, auf einer Landwirtschaftschule weitere Erkenntnisse auf diesem Gebiet zu gewinnen, jedoch scheiterten alle Versuche einer solchen Lehrzeit, weil mein Schwiegervater diese Erleichterung der Landwirtschaftsarbeit als modernen Unfug ablehnte.

Jahre später fühlte mein Schwiegervater sich jedoch weitaus tiefer meiner Wesensart verbunden und erkannte manche Sinnlosigkeit irdischer Versklavung, was er in einer Art Seelensprache mitzuteilen wusste. Doch welch harte Zerreisprobe musste ich zuvor durchleiden, da ich ja auch noch im Einsatz für die gelähmt Mutter gefordert wurde und nur bei meiner herzensguten Schwiegermutter Trost und Beistand fand.  

 

Oh, Wunder, aller Wunder, ich trug nach einem Jahr ein Kindlein unter dem Herzen! Wie oft hatte ich mir in früheren Jahren und Träumen eine ganze Kinderschar gewünscht und nun sollte ich mein erstes Baby bekommen. Wie lohnend schien sich

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das Leben wieder in einem neuen Sinn zu öffnen und ich wollte keine Mühen scheuen, unserem Kind eine bessere Zukunft zu bieten. Da wir ja noch zu dieser Zeit die kleine Wohnung mit der gelähmten Mutter teilten und in dem überfüllten Bauernhaus nur eine Zweitheimat hatten, wollte ich nun alle Kraft beruflich einsetzen, um so schnell wie möglich zu einem Eigenheim neben dem landwirtschaftlichen Anwesen meines Mannes zu kommen. Längst hatte ich begriffen, dass er hier verwurzelt war und nahm auch in Kauf, wenn er als Fernfahrer durch die Lande fuhr, um von dem Lohn Maschinen für das bäuerliche Anwesen zu erstehen. Ich hatte es trotz junger Jahre geschafft, nun auch einen gut bezahlten Job in leitender Stellung zu finden und sah unser Eigenheim im Geiste wachsen.

Aber unser Baby wuchs schneller und kam dann im Jahre 1965 durch eine Kaiserschnittenbindung in unser chaotisches Leben. Überglücklich konnte ich nur über unser wunderbares Töchterlein staunen, welches mit seinen dicken schwarzen Haaren und großen braunen Augen wirklich eine kleine Schönheit war. Es war damals vorweihnachtliche Zeit, als dicke weiße Schneeflocken das Erdreich bedeckten und durch die Lautsprecher im Krankenhaus liebliche Christgesänge ertönten. In inniger Liebe und Dankbarkeit betete ich unser Kind in den lieben Gott ein, ja, ich dankte ihm aus ganzem Herzen, dass er mir ein solch holdseliges Wunder geschenkt hatte. Auch mein Mann war ein überaus glücklicher Vater und sehr dankbar über sein Töchterlein. Als ich mich von meinem Kaiserschnitt erholt hatte, musste  ich mich bald wieder von meinem geliebten Kind täglich für viele Stunden trennen, was ich mit blutendem Herzen tat. Es sollte doch baldigst mit seinen Eltern im eigenen Heim leben, wozu aber noch längst das Geld nicht reichte und ich deshalb wieder meine Berufstätigkeit aufnehmen musste. Mein alter Vater, der mittlerweile im Ruhestand war, versorgte nun mit der Mutter unser Kind, und obwohl die Beiden es über alle Maßen liebten, durchlitt ich Höllenqualen, dass ich ihm nicht allein Mutter sein durfte. Diesbezüglich nahm ich es meinem Mann sehr übel, dass er sich mehr für landwirtschaftliche Anschaffungen einsetzte, anstatt an unser Eigenheim zu denken, damit wir endlich als kleine Familie hätten zusammenwachsen können. Er schien nicht zu bemerken, dass wir uns schon ziemlich auseinandergelebt hatten und als ich nun auch noch eine Bauchhöhlenschwangerschaft auf Leben und Tod durchstehen musste, rückte unser Hausbau in weite Ferne. Obwohl ich mich noch lange nicht erholt hatte, kam schon wieder eine neue Unterleibsoperation auf mich zu, denn dieser Verwachsungsleib quälte mich unter wahnsinnigen Schmerzen. Meine Nerven waren völlig am Ende, weil unser Leben nur noch in einer einzigen Pechsträne verlief.  Wir wussten nun, dass wir keine Kinder mehr haben konnten und ich fühlte mich damals sehr elend, zumal ich durch meine drei Unterleibsoperationen und die Überbelastung zwischen Landwirtschaft, Beruf und zusätzliche Verpflichtungen im Elternhaus, mehr und mehr meinem einzigen Kind entfremdet wurde. Meine Mutter verstand es sehr gut, das kleine Wesen in ihre Abhängigkeit an sich zu binden, und ich hätte am liebsten mein Kind genommen, um weit, sehr weit von Allem zu fliehen. Ich hatte nicht den Mut dazu, weil ich Angst hatte, meinem Kind mehr zu schaden, und in diesen Krisenzeiten war unsere Ehe schon arg zerrüttet. Nach 6 Jahren hatten wie endlich unser Haus fertig gebaut, in das wir nun mit unserem Töchterchen einzogen. Nun durfte ich hauptsächlich liebende Mutter für mein Kind sein, das nun auch als kleine Volksschülerin eingeschult worden war. Ich bemerkte, dass sie nur schwerlich den Ortswechsel verkraften konnte und unter der Trennung von meinen Eltern litt, die ja für sie in all den Jahren die eigentlichen Bezugspersonen waren. Welch eine Aufarbeitung war in diesem seelischen Bereich unseres Kindes nötig, aber ich wollte

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es schaffen, ihm aus seiner inneren Einsamkeit herauszuhelfen. Dabei machte ich aber viele Fehler, die ich damals noch nicht erkannte, denn durch unser zerrüttete Ehe sah ich in ihr meine kleine Vertraute, mit der ich manche Not besprechen konnte. Wie dankbar durfte ich nun beobachten in welch edler Herzenshaltung sie heranwuchs und auch im schulischen Bereich gute Leistungen brachte. Mein Mann nahm nur bedingt an diesem Werdegang teil, und ich war oft sehr verbittert, dass er sich mehr und mehr durch materielle Dinge versklavte und nicht zu erkennen schien, wie sehr wir Beide doch letztlich litten.  So begann unsere Ehe in eine Scheinwelt abzugleiten, in der wir durch Amüsements unser Leben anders zu gestalten gedachten. Wir wollten in manch einer rauschenden Ballnacht vergessen, was all dieser Frust vergangener Zeiten gebracht hatte. Mein Mann und ich waren mit unseren Bekannten schon derart in Sünde verstickt, was uns zeitweise auch völlig egal war.

 

Ein Spiegel der Seele?

Ein "Augenblick" festgehalten 1988 

 

 

Allerdings schien mein Gewissen mit diesem Lebensstil nicht einverstanden zu sein und in schlaflosen Nächten durchlitt ich manche Qual innerer Verlorenheit. Mein Glaube an Gott war zwar noch nicht restlos verschüttet, aber schon erheblich ins Wanken gekommen. Ich war müde, unsagbar müde. „Wo bist du Gott?“ schrie ich oft in einsamen Stunden auf. Was hatten mir wiederum die Rosenkränze, Ablässe oder Novenen zu verstorbenen Heiligen genutzt, und waren ihre Fürbitten überhaupt je zu Gottes Thron emporgestiegen? Schienen nicht auch  all die ererbten und geweihten Holz- und Gipsheiligen in unserer Wohnhalle mich letztendlich nur als stumme Wächter zu verspotten? Wie oft hatte ich vor ihnen ein Licht entzündet und sie in stiller Andacht um Hilfe angefleht? Jedoch, alle diese religiösen Anstrengungen fanden kein Echo, sie brachten mich noch tiefer in einen Zustand körperlichen und psychischen Niedergangs.

An einem völligen Nullpunkt angelangt, lernte ich nun Menschen kennen, welche mir die Offenbarungen einer okkulten Welt erschlossen. Wie geheimnisvoll waren solche „Weiten“, die zu dem erlauchten Gott zu führen versprachen und auf den Weg der Erlösung von irdischen Zwängen hinwiesen. Fasziniert verschlang ich nun viele Bücher einer solchen „Wissenschaft“, und meine neuen „Freunde“, machten mich mit Geistheilern bekannt, die sich später als die größten Scharlatane entlarvten.

Zunächst musste ich aber noch durch dieses Höllental der Verirrung gehen, indem ich mit meiner kleinen Tochter die Sehnsucht nach Gott und dem übersinnlichen Leben teilte. Auch sie zeigte einen ausgeprägten Hunger nach einer tieferen Erfüllung in Gott und las schon manche Bücher, die andere Mädchen ihres Alters wohl kaum interessiert hätten. Hätte ich damals nur erkannt, das ich manche Notbremse hätte ziehen müssen, um das Kind in eine natürlichere Entwicklung zu führen, aber ich hatte einfach nicht mehr die Kraft, mich aus dieser Art „okkulter Freiheit“ zu lösen. Öfters empfand ich sogar ein inneres Grauen, das ich zwar nicht zu deuten wusste, aber es erinnerte mich irgendwie an jene Todesstürze, die ich in meinen jungen Mädchenträumen als Albträume hatte. Wo war nur jene gute Macht, die mich damals in der Mitte des Falles aufgefangen hatte und nach der noch immer mein ganzes Herz schrie? Hatte sie mich aufgegeben? Noch wusste ich nicht, dass diese Liebesmacht, nie, niemals ein verirrtes Menschenkind aufgibt, aber es oft durch ein Tal der Leiden führen muss, damit es ihn, Jesus, den wahren Retter und Erlöser erkennt. Mit welch einer Liebe begann „ER“ mich nun aus Höllenqualen zu befreien aber ich erkannte noch nicht den Weg, auf dem er mich zu sich führte.

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Unsere Tochter benötigte damals zum Religionsunterricht eine Bibel, und ich kaufte natürlich ein neues Testament, um der kleinen Volksschülerin auch in diesem Bereich weiterhelfen zu können. Außer meinem Kathechismus aus früherer Schulzeit hatte ich nun zum ersten Mal eine Bibel im Haus und blätterte ziemlich kritisch das Büchlein durch. Diese gedruckten Worte hatte ich in den sonntäglichen Gottesdiensten zu Genüge gehört,  aber niemals im Alltag als frohe Botschaft erlebt. Gehörten solche Überlieferungen nicht einer längst vergangenen Geschichte an, welche einfache Fischer und Jesusjünger in ihrer Naivität niedergeschrieben hatten und in unserem Zeitalter längst überholt waren? Nachdenklich vertiefte ich mich nun in dieses Büchlein und kam zu der Überzeugung, dass Jesus Weherufe und Gebote für ein schwaches Menschendasein einfach eine Überforderung waren. Das ließ ich ihn auch unter mancher Kritik wissen, was ich aber meiner kleinen Tochter noch verheimlichte. Täglich las ich mich nun durch alle Evangelien bis zur Offenbarung durch, wobei ich mich ziemlich abmühte manche Schriftstellen, aber besonders die Offenbarungen zu verstehen. Andererseits musste ich mir aber eingestehen, dass mich Jesus Heilungen und Wunder in der Zeit seines Wirkens nicht unbeeindruckt ließen, wobei ich mich beim Lesen von dieser guten Macht umgeben fühlte, nach der ich mich schon immer gesehnt hatte. Während ich nun tiefer angerührt von dieser Jesus Liebe las, ergriff mich eine aufkeimende Ahnung, dass sein Heilsleben im Heute und Jetzt noch gelten sollte, denn solch einen Zuspruch fand ich doch in allen Verheißungen der Evangelien. Es stand doch geschrieben, dass seine Worte nie vergehen würden und ich fand keine Stelle, in der Jesus seine Worte widerrufen hätte. Noch ziemlich fassungslos stand ich dieser neuen Erkenntnis gegenüber und spürte tief im Herzen, dass auch mir nur noch Jesus helfen konnte.

Hatte ich nirgendwo Heilung gefunden und war längst völlig am Ende meine Kraft. In meinem dreiunddreißigsten Lebensjahr war ich dann an einem solchen Nullpunkt angelangt, dass ich fast zusammengebrochen wäre und ich werde nie diesem Morgen vergessen, als ich schmerzgebeugt und tränenüberströmt in der kleinen Bibel las und zu Jesus schrie. Seine Bergpredigt lag vor mir aufgeschlagen und ich fühlte mich durch diese Trostworte auch ganz persönlich angesprochen, mich ihm nun vollends anzuvertrauen.

Ja, Ich wollte es tun und kniete nieder vor dem Kreuz, welches über meiner Gebetsecke hing. Was nun geschah, vermag ich nur annähernd auszudrücken, denn die Liebeskraft Gottes ist in ihrer unendlichen Fülle nicht zu beschreiben. Möge es mir gelingen, das ich dennoch in den nächsten Zeilen von all dieser Liebe Zeugnis geben kann.

 

Während ich nun vor dem Kreuz kniete und Jesus von ganzem Herzen bat, mir meine damals einzige, bewusste Sünde zu vergeben, aber ihn auch verzweifelt anflehte, mir zu helfen, dass  ich nicht wieder in die Sünde zurückfalle, erhoffte ich mir zunächst nur eine Befreiung und Hilfe aus unser irdischen Misere. In welch egoistischer Einstellung ich so vor meinem Gott lag, war mir bei weitem noch nicht bewusst, aber der liebende Vater im Himmel sah  ja sein törichtes Menschenkind, das aus ganzem Herzen zu ihm schrie. Plötzlich schienen mich alle menschlichen Gedanken zu verlassen, und eine Liebeskraft strömte auf mich nieder und tief in mein Herz hinein, die mich mit einem neuen Leben göttlicher Liebe durchpulste. Eine tiefe Gewissheit ließ mich erkennen, dass diese Liebe nur aus dem Urherzen, dem geliebten Vaterherzen Gottes kam, und in einer unendlichen Innigkeit fühlte ich mich in diese Ursehnsucht wahrer Gottesliebe entrückt und wusste, dass ich ihn gefunden,  Jesus, den meine Seele schon immer geliebt hatte und nur Jesus die große Sehnsucht meiner einstigen Mädchenträume war. Wahre Heimat, Hingabe und

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Zärtlichkeit schienen sich in Fülle zu vereinen und vollkommende Liebe, nach der ich mich immer gesehnt hatte, durchströmte mich in der Tiefe göttlicher Geborgenheit. Dieses neue Leben in Gottes Wärme und Kraft schien mich immer noch  tiefer in die Liebe Gottes einzubinden, und in dieser reinen Gottesliebe konnte ich mich meiner ganzen Ursehnsucht hingeben und in ein Meer aller Jesusliebe fallen lassen. Jahre meines Lebens schienen mir völlig nichtig und bedeutungslos, während dieser pulsierenden Liebesstunde Gottes. Ich wusste aus tiefsten Herzensgrund, dass die Unendlichkeit Gottes in mich hineingelebt worden war und hätte in seiner Liebe wohl nie mehr in bewusster Sünde leben können. Wie lange ich in dieser Verzückung vor dem Kreuz kniete, weiß ich nicht mehr, aber als ich dann wieder in die irdische Wirklichkeit zurückfand, fühlte ich mich von allen Übeln befreit. Jubelnd schritt ich nun in diesen Tag meines neuen Lebens in Gott, wobei ich aber noch nicht wusste, dass ich das Wunder der schriftgemäßen „Wiedergeburt“ nach Johannes 3, der Verse 1-21, durch die Liebesgnade Gottes geschenkt bekommen hatte. Da ich damals glaubte, dass ich in dieser Jesus Liebe alle Erfüllung gefunden hatte, ahnte ich nicht, das ich erst  am Anfang göttlicher Kindschaft stand. Jahre sollten vergehen, bis ich auch diesen kindlichen Wachstumsprozess in der Heiligen Schrift wiederfand und wie ein Kind redete, dachte und handelte. (Nach 1. Kor. 13.11.)

 

So war es auch nicht verwunderlich, dass ich mein Erbe Gottes und köstliches Testament Jesus, nur mit „Kinderaugen“ lesen konnte und mir noch alle Ausdrucksfähigkeit fehlte, es anderen Menschen auch glaubhaft zu bezeugen. In naiver Torheit posaunte ich meine erste Liebe Jesus sogar in eine Welt hinaus, die noch im Argen liegt und von den Mächten der Finsternis beherrscht werden darf. Der „Fürst“ dieser Welt konnte sich diebisch freuen, dass ich mich manchem Fehlverhalten ausgeliefert hatte - zumal ich ja noch nicht an die Existenz Satans glauben konnte. Welche Not durchlitt ich in der kommenden Zeit, und ich sollte erneute Niederlagen erleiden, in denen von Satan missbrauchte Menschen mich wieder in einen Falle zu locken gedachten. Jesus ließ mich aber durch diesen Erziehungsprozess gehen, um mich notwendige Lektionen für mein späteres Dienen zu lehren, denn nur durch eigene Leiden und Fehler ist man fähig, anderen Menschen, welche noch in Not verstrickt sind in barmherziger Gottesliebe zu helfen. Jahre später, als Gott mir eine erneute Taufauffrischung im Heiligen Geist schenkte, ließ er mich im tieferen Schriftverständnis wissen,

DAS ER MIR EINE TÜR AUFGETAN HABE; DIE NIEMAND ZUSCHLAGEN KANN; DA ICH UM SEINES NAMENS WILLEN SCHWERES ERTRAGEN MUSSTE.

(Nach Off. 3.8 + Off. 2.3)

Dieser Trostworte Jesus sind aber auch allen seinen anderen Kindern zugedacht, die noch im Kampf zwischen Licht und Finsternis stehen und oft müde und verzagt sein können. Jesus ermutigte mich aber immer wieder, solchen Mut zu machen und sie auf Grund meiner Erfahrungen durch Glaubenskrisen in neuer Hoffnung zu stärken.

Mögen wir auch durch manche Bedrängnis in das Reich Gottes wandern, so ist dieser Weg ins Land der ewigen Liebe alle Mühe wert, denn wir werden mit König Jesus auf grünen Auen himmlischer Höhen leben und zu unserem Gott aller Liebe an sein Vaterherz geführt werden.

 

Zunächst möchte ich aber von diesem gravierenden Ort der Finsternis berichten, weil Gottes Wort mich inspirierte, es zu bezeugen:

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SCHREIBE DIR ALLE WORTE DIE ICH ZU DIR GEREDET HABE IN EIN BUCH. u.A. (Jeremia 30.2) (Habakuk, 2.V.2)

 

MEIN VOLK GEHT AN UNWISSENHEIT ZUGRUNDE....


durchdachte ich heute wertvolle Schriftstellen und bin irgendwie dankbar, dass ich damals noch naiv und unwissend war. Hatte ich die Existenz des Teufels bezweifelt und all das Böse mehr als dunkle Krafteinwirkung eingeordnet. Wahrscheinlich musste ich noch entscheidende Lektionen lernen, jedoch hätte ich das nie ohne das unsichtbare Liebeswalten Gottes geschafft. In jenen Tagen zermürbte mich noch zu sehr der finanzielle Druck der Hochzinsphase, so dass ich kaum noch ein Licht am Horizont erblickte. Was nutzte nun unser schlichter und doch wunderschöner Bungalow, die Neuerstellung unser landwirtschaftlichen Hallen sowie die Anschaffung teuerer Maschinen für die Landwirtschaft, wenn man kaum noch wusste, wie man Krisenzeiten einer wirtschaftlichen Depression durchstehen konnte. Trotz all den Problemen hatten wir uns  als Familie zwar wieder in einem heileren Einklang gefunden und ich war sehr dankbar, wie unsere Tochter, die nun schon seit einigen Jahren ein Mädchengymnasium in Fulda, die Marienschule besuchte, in einer gütigen Herzenshaltung heranwuchs. Auch unsere gelähmte Mutter und den alten Vater besuchten wir so oft wie möglich, aber negative Kräfte schienen noch zu triumphieren. Sollte es denn wirklich Satan geben? Ich betete nun eine ganze Woche intensiv um die Erleuchtung Gottes und hatte nach dieser Gebetswoche folgendes erschütterndes Erlebnis.

 

Kurz vor Mitternacht ging ich in einen mir zunächst unerklärlichen Bewusstseinszustand über, indem ich mich von einer guten Macht umgeben wusste und geborgen fühlte. Plötzlich holte sie mich aus meinem Körper heraus und trug mein innerstes Wesen in eine unbekannte Sphäre in den Weltraum hinauf. Ich fühlte mich in diesem schwebenden Zustand so leicht und schwerelos, wie ich es nie in meinem stofflichen Körper erlebt hatte, und in diesem wundersamen Zustand schwebte ich höher und höher hinauf in ein Reich, welches weit über der Erde zu liegen schien und in einem finsteren und unheimlichen Bereich irgendeines Weltalls endete.

In diesem fand ich mich in einen Bewusstseinszustand versetzt, den ich nur als qualvoll auszudrücken vermag, und sah plötzlich die Gestalt eines Menschen hinter einem schwarzen Gewölbe hervorkommen, der auf mich zugehen wollte, aber von einer unsichtbaren Macht daran gehindert wurde.  Welch eine unsagbare Qual schien dieser Arme zu durchleiden und ich versuchte immer wieder, ihn aus jenem Ort der schrecklichen Finsternis herauszuhelfen, was aber nicht gelingen wollte. Erneut streckte ich ihm meine Arme entgegen, was aber meine gute Macht noch seine Boshafte zuließ, und durch unsichtbare Hände schien sich diese Trennung zu vollziehen. Während sich tiefes Mitleid und Erbarmen durch mein Herz zogen, schrie dieser Mensch dann laut und gemartert um Hilfe; dieser Notschrei schien im Widerhall zwischen Jenseits und Erde, vom Hohngelächter unzähliger Dämonen begleitet, das meine Seele im unerträglichen Schmerz durchdrang.

Nun sank dieser Gequälte wieder in seine gnadenlose „Hölle“ zurück, die ich in diesem Bewusstseinszustand aber nicht als sichtbar brennende Feuerflammen, sondern mehr als seelisches Folterreich empfand. Wie grauenhaft, oh, wie entsetzlich war es in diesem Bereich, und ich war unendlich froh und erlöst, als mich meine gute Macht wieder zurück durch das Weltall auf diese Erde trug. In meinem Schafzimmer angekommen, sah ich meinen Körper im Bett ruhen und musste

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fassungslos begreifen, dass mein innerer Körper in diesen äußeren wieder eintrat und in irdischer Schwerkraft mit ihm verbunden war. Lange dachte ich noch in diesen nächtlichen Stunden meine Reise in die Unsterblichkeit und wusste nun mit tiefer Gewissheit, dass es Satan gab und dass in dem Bereich zwischen Himmel und Erde böse Mächte und Dämonen noch großes Unheil anrichten konnten. Flehentlich betend lag ich dann vor Jesus und mein ganzes Herz schrie zu ihm auf, mich niemals, niemals dieser Finsternis zu überlassen und noch viele Seelen vor Irrwegen zu warnen. Oh, könnte ich nur mehr, viel mehr dazu beitragen, aber was konnte ich kleiner und ohnmächtiger Mensch schon dazu tun? Damals wusste ich noch nicht, dass ich heute bei einer Fürbitte in weitaus tieferen Gebeten vor meinem Gott liege und für VIELE um Errettung bete.

Oft genug spüre ich dabei Satans Rache, weil er ja niemanden freigeben will. Aber der Herr Jesus wird den Sieg seiner Allmacht für jeden davon tragen, der zu ihm kommen möchte. Wenn auch nur durch kleine Anfänge und durch Stückwerkerkenntnisse ließ mich Jesus im Glauben weiterwachsen und meine von ihm zuvor bereitenden Wege beschreiten. In diesem Werdegang ließ mich guter und treuer Herr wissen,

DASS ER DAS GEKNICKTE ROHR NICH ZERBRECHEN UND DEN GLIMMENDEN DOCHT NICHT AUSLÖSCHEN LÄSST, BIS ER DAS RECHT ZUM SIEG HINAUSFÜHREN WIRD  (nach Matthäus 12.20)

 

Später: Ein sehr ernsthaftes Abenteuer begann.

Ich wurde mit dem Schicksal einer Familie konfrontiert, die seit Generationen im Erbstrom eines Unheils lebte und sich in Hass und Verbitterung zermürbte. Diese Menschen benötigten nun dringend Hilfe, zumal sie sich an mich wandten. Ich möchte nicht alle Begebenheiten niederschreiben um die noch lebenden Betroffenen zu verletzen. Allerdings sollte man nicht schweigen, wenn Menschen durch Unwissenheit im Banne Satans leben und elendig zugrunde gehen. 

 

Da ich auch in der göttlichen Versöhnungsliebe bleiben möchte bezeuge ich nur notwendige Spuren.

 

Hätte ich damals geahnt, was Zaubereisünden bedeuteten, die mit Hilfe des 6. und 7. Buches Mose praktiziert und von Vorfahren vollzogen worden waren, wäre ich vorgewarnt gewesen. Zwar hatte ich schon viele böse Geschichten von solchen Büchern gehört, aber nie so recht daran geglaubt, dass sie tatsächlich großes Unheil anrichten konnten.

Eines Morgens erwachte ich mit blutunterlaufenen Augen – und hatte irrsinnige Schmerzen im Kieferbereich. Tags zuvor hatte ich den Menschen geholfen, ihre grausame Not zu bekämpfen und begann zu ahnen, welch dunkle Mächte dort ihr Unwesen trieben, um sich nun an mir zu rächen. Von der Kraft der biblischen Waffenrüstung hatte ich ja noch keine Ahnung – und bekämpfte nach katholischer Sitte Menschen und Anwesen mit Weihwasser. Alles blieb erfolglos, Angriffe wurden schlimmer und fast unerträglich. Ständig hatte ich einen Hexenschuss, der so schmerzhaft war, dass ich von meinem Hausarzt eine Spritze bekommen musste, um diesen Armen weiterhin zu helfen. Meine Schmerzen im Kieferbereich steigerten sich in einen fast unerträglichen Zustand und ich schluckte Schmerztabletten, um mich zu betäuben. Dennoch schienen auch diese nicht mehr zu wirken und ich suchte nun Zahnärzte auf, welche aber nicht bereit waren, mir scheinbar gesunde Zähne zu ziehen. Kämpfe mit Staats-

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anwaltschaft, Polizei und anderen gesetzlichen Institutionen für diese, auch andere Menschen konnte ich nur noch mit letzter Kraft durchstehen, bis ich endlich einen Zahnarzt fand, der mir der irrsinnigen Schmerzen wegen alle Zähne heraus zog. Wie dankbar nahm ich nun eine Prothese in Kauf, sowie ein blaurot verschwollenes Gesicht, das mich über eine Woche fürchterlich entstellte. Durch erneute Hexenschüsse war ich fast unfähig, den Kampf alleine weiterzuführen – und obwohl ich nun auch meine kirchliche Obrigkeit eingeschaltet hatte – verweigerte auch sie mir ihre Hilfe und überließ mich aller Not. Ich war bitter enttäuscht von meiner Kirche, die sich doch unter anderem „Mutter der Armen“ nennt und konnte trotz mehrfacher Versuche mich nur im Schmerz von ihr verabschieden.

Wie dankbar war ich aber zwei katholischen Priestern, die wohl einen tieferen Einblick in mein verwundetes Herz hatten, und in all diesen Zeiten mir durch Tat und Gebet beistanden. Doch ein erneutes Übel setzte wiederum ein. Asthmaanfälle drohten mich zu ersticken. Obwohl ich diesen Armen nun aus der größten Not herausgeholfen hatte, musste ich nun mit dieser Krankheit leben, welche nach einer mehrwöchigen Kur in Bad Lippspringe als unheilbar diagnostiziert wurde. Sollte ich nun lebenslang mit einer Pumpe und Medikamenten leben müssen?

Konnte das der Wille Gottes sein? Oder war es die Rache Satans, dem wir sein Besprechungsbuch vernichtet, ja den Flammen übergeben hatten?

In einer damaligen, eiskalten Winternacht schien es uns, den erwachsenen Kinder der Betroffenen und mir.... endlich verbrannt, jedoch wie ein bedrohliches Monster anzustarren. Seltsam, dass gerade in dieser nächtlichen Stunde ein Fremder auf uns zu schritt, um uns mit bösen Augen zu fragen, was wir hier verbrannt hätten. Nur ein kleines Feuerwerk, antwortete ich flüchtig, wonach wir eiligst das eisige Feld verließen.....

Während ich diese Worte schreibe, kann ich nur dankbar die Frohbotschaft Gottes bezeugen, wie Jesus meine „Freunde“ aus Banden der Finsternis zu erlösen begann, was unter anderem auch auf christlichen Evangelisationen geschah. Mehr denn je musste ich lernen, dass ich nach „getaner“ Arbeit loslassen musste und das bei sehr vielen Schicksalen.

Meine persönliche Leidenszeit schien sich Gott im Heilungsprozess auf eine andere Art und Weise vorzubehalten – und ich werde nie vergessen, wie es geschah.

 

Es war Erntezeit, in welcher die Bauern emsig auf den Feldern schufteten und mancher Mähdrescher bis spät in die Nacht noch zu hören war.

Für mich war diese Zeit eine der ärgsten des Jahres, da mein Heuschnupfen mich derart quälte, meine asthmatische Not fast unerträglich war und mein Kopf zu bersten schien. Mit verschwollenen Augen und fast rohfleischiger Nase, sowie qualvollen Rückenschmerzen musste ich ebenso schuften, obwohl es meine Psyche kaum noch ertrug.

So legte ich mich während einer Mittagspause völlig erschöpft in mein Zimmer, auf mein Bett, um mich etwas zu entspannen. Der Sommerhitze wegen hatte ich die Rollos heruntergezogen, um mich im nun kühlen Raum Gott zu öffnen. Dabei fiel ich aber sogleich in einen Erschöpfungsschlaf, der durch folgendes Erlebnis nicht nur zu einem Wundertraum, sondern zu einer tiefinnigen Begegnung mit Jesus wurde.

Ein reines Licht durchflutete plötzlich mein Zimmer und strahlte bis in die Tiefe meines Herzens hinein. Es wurde in einer göttlichen Heiligkeit durchpulst. In dieser Intensität einer reinen Gottesliebe aus Licht, Liebe und Reinheit fühlte ich mich in seliger Verzückung entrückt und himmlisch erlauchten Höhen nahe. Diese Vollkommenheit hatte ich auf diese Weise noch nie erlebt und wusste plötzlich in

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tiefer Gewissheit, dass Jesus bei mir war. Seine Anwesenheit, seine Liebe und sein Licht strahlten tiefer in mich ein und ich fühlte eine so seltene Freiheit, ja, auch von allen körperlichen  Schmerzen und Zwängen. War ich überhaupt noch auf dieser Erde oder in himmlisch-paradiesischen Sphären? Ich wusste es nicht, erkannte aber in tiefer Gewissheit, dass wirklich nur JESUS; Jesus bei mir war. Plötzlich durchzog ein Schmerz meinen Magen und obwohl ich zunächst nicht erkennen konnte, weshalb ein solcher Schmerz herausgenommen wurde, ahnte ich dennoch bald, dass sich ein solcher im Magen verbarg. Wieder im Lichte seiner Glückseligkeit ruhend, näherten sich hörbare Schritte neben meiner anderen Bettseite und ich spürte in tiefer Ergriffenheit, wie Jesus in keuscher Liebe meine Wange berührte. O Glückseligkeit in diesem Zustand göttlicher Liebe, in dem ER nun wieder durch mein Zimmer schritt und mich verließ.

Längst in einem Wachzustand, konnte ich zwar noch fassungslos, aber in glückseliger Liebe begreifen, dass mein Heiland mich besucht.... und verlassen hatte.

Während ich noch in tiefer Ergriffenheit eine ganze Weile über dieses Gnadengeschenk nachsann, konnte ich nur schwerlich in die Wirklichkeit zurückfinden, aber völlig schmerzfrei in den Resttag schreiten.

 

Seit jener Stunde vertiefte sich mein Herzenswunsch, fast ausschließlich meinem Herrn zu dienen, erkannte bald, das er mich schon lange in seine Nachfolge gerufen hatte.

„Stelle mein Licht nicht unter den Scheffel“, hörte ich in mir Gottes zärtliche Ermutigung und entschloss mich zunächst einem ersten Gedichtsband „Im Liebesflug zum Schöpfer“ zu schreiben. Nachdenklich durchsinne ich mein Leben, dass nicht aus einer studierten Wissensexplosion entstand sondern aus dieser bedingungslosen Gnade und Abhängigkeit Gottes.

Wie dankbar war ich, ja ich weinte Tränen der Freude, als ich diese Pressenotiz unserer Fuldaer Zeitung las: „Zeugnisse eines tiefen Glaubens“

 

Fulda/Röhnshausen

„Im Liebesflug zum Schöpfer“ heißt ein Gedichtband den Hannelore Leibold aus Rönshausen herausgebracht hat.

Der Titel verdichtet das Lebensziel der Autorin: die liebe-voll-sehnende Hinwendung zu Gott. Die einfachen, zu Herzen gehenden Gedichte zeugen von großen Vertrauen in die unendliche Vatergüte des Schöpfers, das auch dann trägt, wenn die Brücken, rein erdenbezogener Zuversicht arg brüchig werden.

Darüber hinaus lässt Hannelore Leibold viel aus ihrer Biographie einfließen und hat so manches Wegweisende und „Dankeschön“ für die einzelnen Mitglieder ihrer Familie formuliert.

Die Autorin wird am Montag, den 22.Juni, um 15 Uhr im Fuldaer Altenzentrum St. Vinzenz aus ihrem Buch lesen. Der Gedichtband ist im Buchhandel erhältlich.

 

An diesem zwanzigsten Junitag 1992 schien die Sonne mit einen besonderen Strahlenglanz durch die Bäume zu fallen und ich freute mich so sehr auf eine erste Dichterlesung im Seniorenheim. Diesen „Liebesflug“ konnte ich erst nach Mutters Ableben, am 11. November 1991 wagen, da sie als Letztlebende aller unserer Familienangehörigen gepflegt werden musste.

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Natürlich sind, um literarische Werke zu schaffen, auch andere Grundlagen u.a. Lesen, wichtig und erforderlich, was auch heute noch eines meiner größten Hobbys ist.

So möchte ich noch folgende Gedanken eines mir unbekannten Glaubensbruders (Ch. Price) in die Welt senden, weil sie meiner damaligen Situation voll und ganz entsprachen.

 

Es wurde einmal eine Eiche in die Erde gelegt, Sie keimte und wuchs – und als die Frühlingssonne hervorkam, trieb sie die ersten Blätter. Sie fing an zu gedeihen. Nun kam da ein Man des Weges und legte einen großen und schweren Stein auf die Eichel. Da begann sich die Eichel zu sorgen und zu grämen. Sie glaubte, dass sie nicht mehr weiter wachsen könne und ihren ersten zarten Blätter und die Kraft die in ihr war, stießen an den schweren Stein. Aber dennoch wuchs und wuchs die kleine Eichel. Eines Tages hob sich der Stein. Er wurde weggestoßen, und die kleine Pflanze triumphierte vor Freude. Wer hatte den Stein gehoben? Die Eichel selbst? Nein, es liegt eine Kraft in dem Samenkorn, die kein Mensch der Welt nachbilden kann. Es ist die Kraft Gottes, die Steine wegstößt und Felsen zersprengt! Auch du sollst wachsen und gedeihen zur Verherrlichung Gottes. Die Kraft des Glaubens kann sich in deinem Leben so mächtig zeigen, dass die Menschen staunen werden. Wenn dann der Kampf vorüber und der Sieg erlangt ist, darfst du nicht sagen: „Schaut nur, was ich durch den Herrn geschafft habe“ – sondern knie vielmehr am Fuß des Kreuzes nieder und sage: „Ist es nicht wunderbar, dass seine Gnade und seine Kraft in mir offenbar wurden?“

 

Dennoch blieb ich damals eine „Abenteuerin Gottes“ und möchte nur zur seiner Ehre  auch diesen Pressebericht weitergeben.

Nur mein Bild, das mit veröffentlich wurde, fand ich so entsetzlich, da ich einerseits zuvor eine lebensgefährliche Ohrenoperation durchstand, und während dieser Zeit gekillt werden sollte. Und das einer Ehetragödie wegen der ich als „Friedenstifterin“ diente. Jedoch freute ich mich von ganzem Herzen über diese Berichterstattung  (Originalverfassung)

 

 

Die Rönshausener Hannelore Leibold hat fünf Bücher mit religiösen Gedichten verfasst / Viel Phantasie

„Eine Abenteuerin Gottes“

Eichenzell-Rönshausen

An Ideen und Phantasie hat es ihr noch nie gemangelt: “Doch seit ich meinen Weg zu Gott gefunden habe, besitze ich die Kraft meine Gefühle niederzuschreiben. Hannelore Leibold, 52-jährige Autorin aus dem Ortsteil Rönshausen, ist überzeugt, dass sie ohne ihren Schöpfer „nichts aber wirklich nichts“, tun könnte.

Fünf Bücher mit Gedichten hat sie in zwei Jahren verfasst. Bei Dichterlesungen in Altenheimen versucht die 52-jährige, den Bewohnern mit ihren Versen neuen Lebensmut zu geben. „Das ist das schönste für mich, wenn ich merke, dass sich Menschen an meinen Versen erfreuen“, sagt Hannelore Leibold. Die Schriftstellerin lädt auch einmal im Jahr eine große Kinderschar nach Hause zu einem Fest ein. „Kinder haben einen besondere Phantasie sich mitzuteilen, ihre Kreativität kann grenzenlos sein. Sie haben solch ein feinen Gespür für Ehrlichkeit und man kann viel von ihnen lernen.“ Ein Manuskript mit dem Titel „In der Phantasiewelt unserer Kleinen“ liegt seit einem Jahr auf dem Tisch der zweifachen Großmutter. Ihre beiden Enkeltöchter geben Hannelore Leibold aber immer wieder neue Denkanstöße, so

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dass das Manuskript, das später als Märchenbuch erscheinen soll, stets aktualisiert werden muss.

Doch schreiben allein reicht der 52-jährigen nicht, um ihren Glauben zu vermitteln: Hannelore Leibold versucht „gemeinsam mit Gott“ Menschen zu helfen, die große persönliche Probleme haben. Das sind z.B. Sektenmitglieder, die es alleine nicht schaffen, aus einer solchen Gruppierung wieder herauszukommen. Auch Leute, die Selbstmordgedanken haben, will sie in Gesprächen davon abbringen. So ist am Wochenende viel Betrieb im Hause Leibold. Menschen kommen zu Besuch und holen sich Beistand für die nächsten Tage. Unterstützt wird Hannelore Leibold dabei von ihrem Ehemann Theo. „Mein Mann hält mir den Rücken frei, wenn ich schreibe oder versuche, verzweifelten Menschen zu helfen.“

Auch wenn nicht alle Missionen von Hannelore Leibold von Erfolg gekrönt sind, wird sie nicht aufgeben: „Ich bin eine Abenteuerin Gottes und will auch weiterhin durch meine Gedichte und Gespräche anderen Menschen helfen.“                  12.März 1994

 

 

Montag, 3. Oktober 2OO5

 

Es ist Ernte Dank Tag und ich versenke mich in dieser 6. Morgenstunde in die Tiefe des Wortes. Sollte nicht unser ganzes Leben eine Dankbarkeit gegenüber Gott und Menschen sein, besonders für jene, die uns halfen, im Miteinander oder Füreinander da zu sein? Doch, sinniere ich vor mich hin, während ich in meiner kleinen und noch warmen Küchenecke sitze, um meinen heißen Kaffee zu trinken. Jeden Augenblick wird mein Mann Theo ausgeschlafen haben, um – wie üblich den Kessel im Heizraum mit Holz zu entzünden. Ebenso wird er mich fragen, ob ich schon seinen Honig genossen habe – um durch eine solche Energie mich körperlich fitt zu halten. Rasch nehme ich einen Löffel Honig, lasse ihn pur auf meiner Zunge zergehen und trinke eine erneute Tasse Kaffee.

Lächelnd denke ich mich in ihn hinein.... Sang er am gestrigen Morgen mit Gläubigen nach einem Fernsehgottesdienst das wunderschöne Lied:

Großer Gott wir loben dich, wonach ich ihn in die Arme nahm, um ihm singend zu bezeugen: Wie DU warst vor aller Zeit, so bleibst DU in Ewigkeit. Nahezu zweiundvierzig Jahre sind wir nun verheiratet, während soeben die Kirchenglocken läuten. Ob es ein göttliches Omen ist?

Nur flüchtig verliere ich mich in jenen Februartag des Jahres 1964, als ich fluchtartig den Traualtar verlassen wollte, weil der damalige Priester während der Traumesse eine sehr demütigende Handlung vollzog.

Eine Sängerin vom Fuldaer Domchor wollte mit ihrer glockenhellen Engelsstimme mir zwei meiner Lieblingslieder singen, nach denen ich mich so sehr gesehnt hatte. Droben auf der Kirchenempore begann sie erste Töne... Ich bete an die Macht der Liebe – und – So nimm doch meine Hände .... Schweigen.....? Jener Priester musste wohl vom Teufel geritten worden sein, denn er verbot nicht nur den Gesang dieser zwei wunderschönen Lieder, sondern jagte die Sängerin im regelrechten Wutanfall aus der Kirche hinaus.

„Doch, Hannelore, schreibe auch diese einstige Gemeinheit nieder“, ermutigte mich nun mein Mann, als ich ihm die Passage, die ich in mein Tagebuch nieder geschrieben hatte, vorlas. „Heute hätten wir die Kirche verlassen, Frauchen, waren wir damals noch zu unreif – um es zu wagen, zu tun. Nachdem er nun den Heizkessel angefeuert hatte, fanden wir uns im gemeinsamen Frühstücks-Dialog. Er war ausschließlich mein erster Korrekteur, der mir im JA oder NEIN meine Schriftstellerei signalisierte.

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Ebenso ausschließlich fanden Theo und ich uns in einer kleinen Andacht, die sich im Dank – auch Fürbitte vollzog. Wir wussten um den Ernst des Schriftwortes, dass....

“WO ZWEI ODER DREI IN JESU NAMEN VERSAMMELT SIND, ehrliches Gebet erhört wird. (Math. 18.20)

Da ich in der Wahrheit bleiben möchte, gelang aber nicht immer diese Einheit im Gebet und ich erinnere mich an eine Begebenheit, in der Gottes Liebe auf übernatürliche Weise eingegriffen hatte. Zwar sind Jahre vergangen, aber sind Zeit und Raum wesentlich?

Wir, Theo und ich hatten uns gezankt:

Es war an einem Sommerabend, als er mich ziemlich arg verletzte - und ich mich danach frühzeitig ins Bett verkrochen hatte. Soll er doch drunten an seinem Holzplatz selig werden, dachte ich im „heiligen Zorn“, was ich meinem Herrn eingestand. „Lass die Sonne nicht über deinen Zorn (Eph. 2, 3+4) untergehen, hörte ich die innere Eingebung von Jesus, war aber noch nicht fähig, sie zu beherzigen. „Hannelore, Hannelore“, rief er nun auch noch draußen unter meinem Fenster, aber ich war wütend, ignorierte seine Rufe. Stille, absolute Stille folgte, dachte, er habe aufgegeben. Eine Weile verging, als er wieder erneut und besorgter zu mir hinauf schrie. Gut, ich werde ihm einen Denkzettel verpassen, dachte ich erzürnt, eilte auf die Veranda, um zu ihm hinunter zu schauen. Besorgt schaute er zu mir hinauf und fragte mich: „Weshalb hast du mich gerufen, geht es dir nicht gut?“ „Ich soll dich gerufen haben?“ „Ja, klar und deutlich hörte ich deine Stimme mich im Notschrei rufen!“ „Nein, das habe ich nicht getan, du hast doch ständig gerufen.“ Schon bald erkannten wir Beide, dass dieser übernatürliche Vorgang aus der Liebesquelle Gottes kam – und – wir versöhnten uns an diesem Sommerabend im innigen Austausch und Gebet. Sogar ein gefräßiges Eichhörnchen tanzte lustig durch unseren Nussbaum, ja hatte eine kleine Friedensfahne entdeckt, die zwar nur ein Stofffetzen war, aber niedlich durch die Zweige wedelte. Eine zusätzliche Symbolik zwischen Mensch und Tier in göttlicher Liebe?

Ernte-Dank kann man durch so viele Spuren bezeugen, aber auch den „Faden“ verlieren, wenn man sich verzettelt, verausgabt – und oft nur noch aus einem „tiefen Tal“ von dem guten Hirten herausgezogen werden kann......Auch solche Lektionen sollte ich noch gründlicher lernen.....

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Zunächst muss ich mich in diese „Herbstreise“ flüchten, die in manigfaltiger Arbeit in unserem Garten wartet. Die Obsternte war zwar in diesem Jahr kärglich, aber gesunde Gemüse- und Gewürzsorten wuchsen in Fülle....

Fortsetzung folgt:

 

Wie notwendig ich meine „Reise“ benötigte, wurde mir unter anderem vor unserem  Wiesenbach bewusst. Zuvor hatte ich einen älteren Landwirt unseres Dorfes besucht, der sich über meine gelegentliche Besuche immer sehr gefreut hatte, freute. Da der über 8O.jährige sich noch in geistiger Frische befindet, über manchen Erfahrungsschatz verfügt, durchsann ich eine gezielte Ermutigung meines „Freundes“:

„In dieser Welt musst du mit dem Strom schwimmen, Hannelore, nur so kannst du voran kommen.“ Während eines gemeinsamen Dialoges versuchte ich ihm plausibel zu machen, dass ich es niemals schaffen könne, mit dem sogenannten „Strom“ zu schwimmen, auch mancher Vorteile wegen nicht.

Nun, vor meinem alten Mühlbach sitzend, ließ ich meine Gedanken baumeln, ja, entdeckte mich nicht nur in einer Diskrepanz, sondern im betenden Zwiegespräch: „Jesus, du weißt, dass ich in kein Chema passe, bitte gib mir doch ein Zeichen, ob ich mich dennoch in deinem Willen befinde...?“ Während ich auf die dahinplätschernden Wellen schaute, schwamm plötzlich eine braunweißgesprengelte Ente gemütlich gegen den Strom heran, betrachtete mich einen Augenblick mit forschenden Augen, wonach sie etwas schwungvoller über den kleinen Wasserfall schwamm.

Über ihm schien sie mir einen flüchtigen Rückblick zu gönnen, was mich tief im Herzen sehr, sehr glücklich machte. Wusste ich in inniger Gewissheit, das Gott mir durch diese Ente seine Antwort geschenkt hatte.

Gegenwart und Vergangenheit schien der altgraue Bach zu murmeln, während meine Ente wohl schon in oberen Gefilden schwamm.....

Wesentlich wichtiger war die innere Eingabe meines Herrn, schien er voll und ganz damit einverstanden zu sein, dass ich in kein irdisches Chema passte, was ich an diesem wunderschönen Oktobertag 2OO5 mehr in mein Herzenstagebuch schrieb. Sollte ich mir noch einen Spaziergang gönnen, überlegte ich nachdenklich, während ich gedankenversunken über unsere fast abgemähte Wiese schritt. Es war die dritte Maat und Theos Bienen konnten in dieser Wildblumenwiese eine sehr gute Honigernte einbringen.

Gott sei Dank, dass nun diese Zeit vorüber war, denn Renovierungsarbeiten waren in fast allen Bereichen überfällig. In den letzten Tagen hatte er mir tüchtig geholfen, mächtige Garten und Zimmerpflanzen umzutopfen, was ich alleine nicht mehr geschafft hätte.

Unter solchen Gedanken stand ich draußen in unserem Wildwuchs-Domizil, winkte müde hinab zu meinem knallroten Bach Pavillion, den ich mir in dieser Farbe bestrichen hatte. Farbe der Liebe, dachte ich flüchtig,

während ich in einem wundersamen Abendrot noch eine Weile auf der Hausveranda stand.

Und eine Vergangenheit erwachte....                                          

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Hörte ich nicht ein Kinderstimmchen rufen?

„Hannah, weißt du noch – wie schön es bei euch war?“

O, ja, ich wusste noch .........

Was wird aus den meisten von ihnen geworden sein, überlegte ich nachdenklich, während ich an mein damalig, dörfliches Kleinvolk dachte. Vier oder fünf Jahre müssen vergangen sein seit jener Zeit, ob sie sich auch noch an Gottes Telefon Nummer erinnern ? Gott sei Dank habe ich noch ein Manuskript in einer von meinen Schreibecken aufbewahrt, doch... auch diese „Reise ins Chaos“ ist eine notwendige Aufarbeitung wert.

Schon kniete ich vor einem Akter, den ich mit „Herbstwaldseufzer“ beschriftet hatte und schon fand ich das gezielte Manuskript. Aus Datenschutzgründen hatte ich alle Namen verändert, an diese sie sich erst allmählich gewöhnen mussten. Dennoch klappte es bald, zumal sie wussten, dass bei uns, Theo und mir, der Draht zum lieben Gott zu stimmen schien. In ihrer Fantasie sollte Theo, „Gabriel“ und ich „Hannah“ heißen, denn ein Buch, oder gar Film in die Welt zu senden, wäre ihr größter Wunsch gewesen.

„Nein, Hannelore, wir Beiden werden uns heute mit unseren richtigen Namen nennen“, ermutigte mich Theo,“doch die veränderten Namen unserer damaligen Rasselbande müssen wir aufrecht erhalten.“ „Bloß wo beginne ich zuerst, Theo ?“ „Das wirst du schon heraus finden, aber am heutigen Abend würde ich dir raten, dir eine Pause zu gönnen.“ Diesen Ratschlag beherzigte ich nun wirklich und versuchte mich zu entspannen.

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Viele meiner Abenteuer begannen an unserer

Bushütte an der unteren Ecke Rohing-Hahingstraße und ich durchsann, wie sie entstand.  Mit meinem Schwiegervater und dem damaligen Lehrer

wollten wir die Schulkinder nicht auf der Haupstrasse auf den Schulbus warten lassen, wäre es unverantwortlich gewesen – sie vor den durchfahrenden Autos  eventuellen Gefahren zu überlassen. Damals, vor 33 Jahren, benötigte man keinen endlos wiehernden Amtsschimmel, um eine solche Dringlichkeit vorzunehmen – und mein Schwiegervater als Bürgermeister hatte es relativ rasch geschafft, dass ein Schulbushalteschild nun in dieser Ecke stand. Vielleicht zog es mich auch deswegen des öfteren hinab, um behütete Kinder zu beobachten, auch mit ihnen zu reden. „Dürfen wir dich auch mal besuchen?“, fragten mich einige gespannt, was ich natürlich gestattete.

Und so kamen sie eines Tages unsere Treppen heraufgerast, während ich gerade ein Telefonat hatte.  Ich legte den Hörer auf die Truhe und ließ meine kleinen Freunde herein. „Gottes Segen“, verabschiedete ich mich wie üblich durch den Draht, was sie zu begeistern schien.

„Gott hat eine Telefonnummer, Hannelore ? Toll, die muss ich sofort ausprobieren... Wie ist die Vorwahl und Nummer? „ Eine Alarmglocke schien mich zu beflügeln, denn Psalm 5O Vers 15 wurde lebendig.

S.30

 

Schon wählte Siggi diese Nummer, gestand mir, dass ich mich geirrt haben müsse.  „Kein Anschluss unter dieser Nummer, Hannelore,“ ein  erneuter Versuch scheiterte.“ Gewiss hast du dich verwählt“, gestand ihr Schwesterchen Laura, Hannelores Draht zum lieben Gott muss stimmen, doch, sie würde uns nie belügen!“ Schwupp wurde von Laura ein neuer Versuch gestartet, der allerdings ebenso misslang. Wieder betonte eine unpersönliche Frauenstimme, dass es unter dieser Telefonnummer keinen Anschluss gäbe. Gott, wie kann ich den Mädchen nur beibringen, dass ich den Psalm 5O – Vers 15 als biblischen Notruf gemeint habe, überlegte ich, sind sie doch noch so naiv, um den Inhalt geistiger Gottesliebe im tieferen Sinne des Wortes zu begreifen ? „Kinder, setzt euch erst mal an den Tisch“, „prima, können wir Limo und Schnupp haben ? Und aus den grünen Gläser, die schauen so lustig aus ?“ „Ja, falls es keine Scherben gibt?“ „Nein, wir passen gut auf“... und schon zog Siggi die schöne Tischdecke beiseite, während Laura die grünen Gläser aus dem ebenso grünen Küchenregal holte. Ich holte eine Flasche Limo aus dem Kühlschrank, als schon die nächsten kleinen Gäste an die Haustür pochten, und auch grüne Gläser mit Limo haben durften. Theo, der schmunzelnd vom Imkerraum herauf kam, holte wie üblich ein Päckchen Schnupp aus irgendeinem Versteck. An diesen kalten Endwintertagen wäre für knurrende Kindermägen eine warme Flüssigkeit wohl gesünder, überlegte ich, gab aber meinen inneren Zwiespalt auf, als sie gierig ihre Limo tranken und genüsslich die Schokoriegel verzehrten...

„Hannelore, warum hat das mit der Telefonnummer Gottes nicht funktioniert?“ Alle schauten mich gespannt an. „Schaut, Kinder, in dem Heiligen Buch steht es so geschrieben, wenn man auch ernsthaft damit rechnet, dass der liebe Gott helfen und antworten möchte. Nur so kann das geschriebene Wort eine ehrliche Antwort geben. Und flunkern darf man auch nicht, weil der liebe Gott alles weiß – und so ein „wischi-waschi Zeug „nicht mag. Natürlich möchte er lustige Kinder haben...“, aber kein „wischi-waschi Kram“, unterbrachen sie mich lachend.

„Kannst du uns aus deiner Bibel das Gott Telefon noch mal vorlesen ?“

„Natürlich, aber nun denkt euch mal alle gründlich in diese wunderbare Verheißung mit hinein !“ Ich schlug meine dicke Bibel auf und las ihnen ernsthaft folgende Worte des Psalmes vor:

UND RUFE MICH AN AM TAG DER NOT...

DANN WILL ICH DICH (EUCH) ERRETTEN

UND DU WIRST (IHR WERDET) MICH VERHERRLICHEN!  (Psalm 5O/15)

„Klar, dass es nicht klappen konnte“, bestürmten sie nun Paula, „hast du Hannelore belogen, bekenne sofort Farbe, sofort!“ Paula schaute betroffen ihre Freunde an, konnte und wollte nicht zu ihrer Untat stehen.

Sie, die neunjährige Katholikin war sichtbar erleichtert, als ihr Freund Julius an die Haustür klopfte. „Wer bist denn du“, fragte ich verwundert, als ich das mir noch unbekannte Bürschchen herein ließ.

S.31

 

Mit verschmierten Brillengläser setzte er sich verschämt zu der Runde, die ihn mir eiligst vorstellte. „Das ist Julius, Paulas Freund, mit dem hat sie schon soo viel herumgeschmust...“....“Sex heißt das“, brüllten sie durcheinander, was Paula wütend widerlegte. Jedoch ohne Erfolg !

„Bekenne sofort Farbe, beichte, sonst klappt es nicht mit Gottes Telefonnummer!“ Beichte, ja das schien für Paula das Stichwort zu sein, sie aus ihrer verzwickten Situation herauszuhelfen. „Beichten macht man in der Kirche, bei dem Pfarrer, stimmts, Hannelore ?“ „Nein, das stimmt eben nicht“, unterbrach sie „Mäuslein“, „du hast doch den alten Mann in der Kirche nicht belogen, sondern Hannelore!“ Über diese Logik meiner kleinen, evangelischen Freundin, musste ich schmunzeln, während ein Streitgespräch sich mehr und mehr entfachte. Julius lief dunkelrot an, als man von Erpresserbriefen sprach. „Auch diese Gemeinheit müsst ihr mit Hannelore klären“ ...“später, Kinder, Theo benötigt nun seine Mittagsruhe.“ „Bis zum Nachmittag, Hannelore“, brüllten sie in Vorfreude, „ja, aber mit eurem Kurzaufsatz !“ „Welchen meinst du, Hannelore?“

„Wie Schneeglöckchen das Erdreich durchbrechen!“ „Den müsste hauptsächlich Klara schreiben, trampelt sie immer über die niedlichen Schneeglöckchen in eurem Garten, ist zu faul, die Treppen heraufzulaufen.

Das würde auch den alten Mann dort oben ärgern, weil er im Beichtstuhl ja keine Schneeglöckchen sehen kann.“ Und schon stürmte die kleine Bande davon.

Nach dem Mittagessen verzog ich mich für eine Weile ins stille Kämmerlein, um im warmen Bett betend nachzudenken....

Jesus, ich muss für sie zu einer „lebendigen Bibel“ werden, hilf mir, dass dieses Kleinvolk dich in deiner unendlichen Liebe kennenlernt.

Meine Gedanken flogen zurück in die letzte Silvesternacht, als in etwa zwölf Kinder draußen in unsere Wohnhalle saßen, um unter Limo und Schnupp  von Sexgeschichten zu erzählen. Von vorne, von hinten, im Kopf beginnt der Trieb, auch mit einem Ei im Hoden klappts noch.

Ich war sprachlos. Theo verspottete mich später gutmütig, dass ich ein weltfremdes „Großmütterchen“ sei und seiner Meinung auch bleiben würde. Sollten Kinder, auch unter Eingabe von Massenmedien, ohne Schäden in diese Welt hineinwachsen? Nein, man muss versuchen – den Hebel umzudrehen, überlegte ich, aber ohne Gottes Hilfe würde nichts, absolut nichts gelingen. Zumindest kamen sie an diesem Nachmittag nicht mehr zurück und ich konnte notwendige Hausarbeit vollenden......

Anstattdessen aber täglich mit neuen und sehr gravierenden Problemen, denen ich oft sehr hilflos gegenüber stand. Irgendein Neuling von Nachbardörfer war fast immer dabei, kleine, rotgefrorene Rotznasen schnupften gar tüchtig – und auf dem Marmorboden bildete sich manche Pfütze. Da ich ihre kleinen oder größeren Ehrenworte nicht zu unterschätzen vermochte, wollte ich sie in ihren individuellen Stimmungen so auffangen, wie ihre Seelchen im Notschrei lagen. Gott, was mussten sie verkraften, durchleiden? 

S.32

Bestand für mich nicht die Chance, Unverkraftetes, Verdrängtes aufarbeiten zu helfen? Obwohl ihnen Kinderfreundschaften viel bedeuteten, konnten sie untereinander manchmal recht grausam sein. Irgendwelche Klau und Sexgeschichten wurden fast immer ausgeplaudert, hauptsächlich von Paula, welche die Welt der „Großen“ ziemlich hautnah zu schildern wusste. Öfter gedachten die Kleinen sie erneut ins Schlepptau zu nehmen, kamen in meine Küche, wenn ich Paula zu trösten gedachte.

„Sie belügt dich doch, Hannelore, tut schön und brav vor dir zu sein, aber wenn du wüsstest, wie raffiniert sie ist. Gib doch endlich mal deine Schandtaten zu, Paula !“ „Kinder, quält sie doch nicht, Paula möchte alleine mit mir reden.“ „Okäää, wollen wir beten?“ Unter Limo und Schnupp sprudelte dann zum lieben Gott alles Mögliche, auch  Unmögliche hervor, denn das dieser geistige Telefondraht hauptsächlich im Reden und Beten funktionierte, hatten sie mittlerweile begriffen. Und in meiner dicken Bibel fanden sie auch kein Bild, wie er ausschauen mochte. Aber seine Ideen fanden sie toll, wie er die weißen Schneeglöckchen mit ebenso weißen Sternhütchen schmückte.

Besonders nach diesen dunklen, fast vergangenen Februarwochen – war das süß, so niedlich und süß. „Wir werden sie behüten, Hannelore, dann werden sie noch lange blühen, stimmts ?“ Und das wird doch bestimmt den lieben Gott froh machen?“ „Ja, Kinder, lasst diese Gedanken in euren Herzchen wachsen, dann werden sie auch in eurem kleinen Herzensgärtchen lebendig strahlen!“ „O, ja, aber wie bringen wir das bloß Klara und Julius bei ? Sie wissen doch nicht, dass Gott von außen unsichtbar ist – und sein Geheimnis so lange behalten möchte, wie noch verborgene Knollen im Erdreich ?“ „Ja, Siggi, so könnte man es fast vergleichen“ – auch Schmusekätzchen Laura umarmte mich über diese Ermutigung. „Wir müssen sie überzeugen, sind sie bestimmt noch an den Brücken drunten, um ....“ Dieses Abenteuer konnte ich ihnen nicht mehr ausreden, betete aber mit Theo unser Völkchen in die beschützende Gottesliebe ein......

S.33

Und die Wochen vergingen !

Meist schon am frühen Morgen, bevor der Schulbus kam, eilten sie herein, um sich für eine Weile aufzuwärmen. Ich spürte allerdings mehr, dass sie unsere Herzenswärme suchten, was auch Theo erkannte. Liebevoll nahm ich das eine oder andere Kind in die Arme. Es war ihnen völlig gleichgültig, wenn sie mich mit dicken Hausboots, einen allzuwarmen Morgenrock vorfanden, Hauptsache war, ich war eben da . Aber inmitten von sechs oder sieben Kinder empfand ich oft eine erhebliche Hilflosigkeit, waren ihre Schicksale zu individuell. Man konnte nie wissen, was am Abend zuvor passiert war, hatte mir Tina, die Zwölfjährige, allzu oft um die häusliche Misere von ihren kleineren Geschwister erzählt. Tina war nicht nur ein bildhübsches, sondern auch kluges Mädchen, weshalb sie mich auch mal mit dieser Frage konfrontierte: „Wen hast du am liebsten, von uns?“

„Natürlich euch alle, ja, alle habe ich gleich lieb, Tina!“

„Das habe ich doch gewusst“, gestand Laura strahlend !“Deshalb ist mein groooßes Geheimnis auch vom lieben Gott erhört worden, schon über eine Woche hat es geklappt. Hannelore, wie lieb habe ich dich, wärst du bloß meine Omi, niemand könnte mich lieber haben!“ „Doch“, bestätigte Mäuslein – Siggi –„der liebe Gott“, stimmts , Theo ?“ „Ja, das ist richtig, aber nun rasch hinab zum Bus, kleine Meute“, die dann auch fröhlich hinab raste. „Wir kommen heute Mittag wieder“, hörten wir sie noch brüllen – und beteten sie erneut in diesen Tag hinein.

Wir mussten uns nun auch rascher in unseren Alltagstrott „stürzen“, denn die Zeit schien zu rasen, sowie meine Gedanken, die ich in einen Wäscheberg mit hinein bügelte....

Von fünf verschiedenen Väter sollen wir gezeugt sein, bloß den meinigen kenne ich nur durch Bilder aus dem Album. Tina wollte ihn bald mal kennenlernen, freute sich so sehr darauf. Doch, der Regenwurm kann wieder wachsen, wenn er auch mal zerfetzt worden ist, wusste Mäuslein nach neuer Erkenntnis, bloß Mamas neuer Freund glaubt das nicht.

War es gestern, als Laura verträumt durchs Fenster hinauf in die Wolken schaute und flüsternd gestand: „Ach wäre ich doch dort oben – bei dir lieber Gott, weg, ganz weit weg von dieser Welt? Ja, das wäre mein allergrößter Wunsch! „Gott, das Kind leidet ja unter einer Todessehnsucht“, flüsterte ich vor mich hin und bemerkte nicht, dass ich mich öfter in ähnlichen Zwiegesprächen fand. Das Bürschlein Andy holte Laura auf seine Art und Weise in folgende Realität zurück: „Dort oben, bei Gott – dem uralten Mann – mit dem langen weißen Bart nur fromm sein müssen, immer nur heilige Lieder singen, nein, ist doch schrecklich langweilig. Und wenn man nicht spurt, lässt er Kinder ermorden, sogar ....

Kannibale sie fressen. „Jesus, alleine werde ich das nicht mehr lange schaffen“, flüsterte ich erschöpft,“quälte mich ein Schmerz in der rechten Oberbauchseite.“ Zumindest hatte ich meine Bügelwäsche fertig, Theos Gemüseeintopf aufgewärmt, um mich für eine Weile auszuruhen.

S.34

 

 

Jedoch nicht allzu lange durfte ich mich dieser Ruhe hingeben, schrie schon allzu bald meine „Rasselbande vor der Haustür.

Während ich mir rasch einen heißen Kaffee kochte, schienen meine  Freunde sich in einem regelrechten Streit zu beweisen, der auch unter Limo und Schnupp kaum zu beenden schien.

„War das doof heute in der Schule – und so ungerecht.“

Mäuslein hielt sich erst mal die Ohren zu und raste orientierungslos hinaus. „Siggi, Siggi“, schrieen sie ihr nach, wonach sie wieder herein kam. Sie schien auch zu bemerken, wie erschöpft ich ausschaute, ja, meine Hand an die schmerzhafte Stelle meines Oberbauches hielt. „Ist was nicht okää, Hannelore?“ Durfte ich meinen kleinen Freunden von diesem Schmerz erzählen? Gewiss würden sie sofort mit mir beten, aber auch Siggis Rat befolgen: „Hannelore, der liebe Gott hat doch auch Ärzte gemacht, bitte mache sie gesund – oder schicke sie zu einem Arzt!

Diesen Ratschlag musste ich nun wirklich beherzigen, denn der Schmerz steigerte sich... mehr und mehr.

So suchte ich baldigst meinen Arzt des Vertrauens auf, der nach gründlicher Untersuchung erkannte, dass sich ein Zwölffingerdarmgeschwür eingenistet hatte. Ich konnte nur hoffen, dass es durch Einnahme eines gezielten Medikamentes in den nächsten Wochen einschrumpfen würde. Wollte ich doch für mein Kleinvolk weiterhin da sein, es durch Höhen und Tiefen begleiten.

„Ein Zwölfingerdarmgeschwür“?... brüllten sie bestürzt, aber zwölf Finger hat doch kein Mensch, Hannelore, also muss sich der Arzt geirrt haben.

Und im Darm kann es doch wirklich keine Finger geben?“

„Bestimmt wird Jesus dir helfen, Hannelore“, tröstete mich Laura „– „und wir beten nun nur noch für dich!“ „Quatsch, Jesus ist doch kein Zauberer, ja, nur Zauberer können zwölf Finger hervor zaubern“, versicherte Mäuslein, während es wie ein Zauberlehrling beide Händchen auf ihren Bauch legte und einen perfekten Zauberakt ergänzte. „Du bist doof“, stöhnte Laura, „musst den gruseligen Zauberer im Fernsehen nachäffen“..

und alle brüllten im Durcheinander von Monster, Gespenster und furchterregenden Teufelsfratzen, die aus der Glotze bestimmt ihre liebe Hannelore verhext haben mussten. „ Sie guckt doch gar nicht in die Glotze, stimmts Theo?“ Lächelnd konnte er das nur bestätigen, zumal wenn es sich um solche Filme handelte. Gütig erklärte er ihnen, dass der liebe Gott auch ein Heiliger, heilender Geist sei – und viele guten Engel für ihn arbeiten würden. Das war für sie Neuland, aber es schien spannend und lohnenswert zu entdecken. Besonders Sonntags am frühen Morgen kamen sie die Treppen herauf gerast, fragten, ob das mysteriöse Zwölffingerdarm Geschwür geplatzt sei? Mitunter saßen bis zu neun Kinder am langen Wohnzimmer Tisch, um auf diese Art und Weise ihren Gottesdienst zu feiern. Selbstverständlich waren nun immer heilige Engel dabei, die man eben nicht sehen konnte. Unter Limo und Schnupp, auch mal einem Wurstbrot oder warmen Essen, bestürmten sie den lieben Gott.

S.35

Auch eine Kinderbibel, die ich mir hatte besorgen lassen, fanden sie spannend - und wollten besonders nach Betrechtung der abenteuerlichen Bilder, eine Armee Gottes werden, um für die Liebe zu kämpfen. Laura schien besonders das schöne Mädchen , Maria, zu faszinieren, las noch etwas stotternd die Texte dazu vor. Auch hier hat Gott einen Engel – Gabriel – zu Maria geschickt, „ prima, Theo, dass wir dich „Gabriel“ nennen, und vielleicht bist du deshalb „Hannahs“ Mann geworden – und weißt es bloß nicht mehr?“ „Das ist er bestimmt“, jubelte Mäuslein, wurde aber plötzlich traurig, als es an eine totgefahrene Katze dachte.

„Ob sie lange gelitten hat, weil sie noch zappelte? Ob sie noch ein Friedhofsplätzchen fänden, an dem man sie würdig beerdigen könne?“

"Du bist wirklich blöd", widersprach das katholische Klärchen, "Tiere werden da nicht beerdigt, nur Menschen liegen auf dem Friedhof!" Mäuslein machte sofort ihr flottes Kreuzlein, wollte als evangelisches Kind ihre Ehrfurcht vor einer solchen Kirchenlehre bezeugen.

„Wollt ihr denn nicht mal in die Kirche, um gemeinsam mit den anderen Gottesdienst zu feiern ?“ „Nein, Theo, bei euch ist es doch viel schöner, da können wir so toll mit dem lieben Gott reden und Gemeinschaft haben. In der Kirche muss man stille sein, irgendwas hören... oder singen.“

„Mögt ihr denn nicht ein schönes Lied ?“ ... fragte ich, „doch, Hannelore, wir singen es jetzt, hier in dem wunderschönen Blumenhaus:

„Die Gott lieben werden sein ... wie die Sonne „ sie hörten auf, weil sie entweder den weiteren Text vergessen hatten, oder besorgt auf mich schauten, weil ich stöhnend meine Hände auf den Oberbauch hielt.

„Quält dich schon wieder dieser Schmerz?“ „Ja, Laura, ziemlich arg!“

„Prima, nun habe ich die Idee“, erklärte Paula energisch: „Quälen, quälen, nur so wird es gelingen!“ „Bist du verrückt geworden, Paula, das lassen wir nicht zu ! Unsere Hannelore quälen?“ Mit wiederum einem allzuflotten Kreuzlein bestätigte Siggi eine solche Unverschämtheit, wurde aber durch Korrektur von Paula nachdenklich. „Ich meine doch Mamas neuen Freund, den sie sogar heiraten will, aber ohne mich. Schon wieder in ein anderes Dorf ziehen, nein, kommt nicht in Frage. Den werde ich so lange quälen, bis er von selbst abhaut, doch den muss man nerven, quälen, es muss klappen. Vielleicht schlafwandele ich dann auch nicht mehr beim Vollmond und mein eigener Vater sitzt dann im Knast?

Das er dann später wirklich für einige Jahre im Gefängnis saß, konnte das Kind nicht wissen, aber es musste in das fremde Dorf ziehen, um zu ...leiden, zu leiden!

Fast alle mussten fluchtartig das Dorf verlassen und ich beschriftete diesen

Abschied unter folgenden Worten: Liebes Kleinvolk, ich habe Sehnsucht nach euch, aber ist diese

Vergangenheit auch nicht noch Gegenwart ???????????

Nun muss ich mir aber einen Nachmittag in meinen „Herbstwaldseufzer“ gönnen, bevor ich an geöffnete Gefängnistore denke.....

S.36

 

1998

 

Fast war ich geneigt, eine Dichterlesung abzusagen, da ich mich nach einer 14-tägigen Viruskrippe noch ziemlich schwach fühlte.

Kann ich mich nicht in Schwachheit erweisen, schien Jesus mich zu ermutigen und ich bestürmte ihn, dass er es auch tun „müsse“.

Da man laut Presseankündigung die anschließende Diskussion nicht erwähnt hatte, konnte nichts schief laufen, bloß wusste ich nicht, welches Publikum ich vorfinden würde. Bei meinen anderen Lesungen, meist in Altenheimen, kannten die Heimbewohner meine tiefgreifenden Gedanken und Gedichte, liebten und schätzten mich für mein Engegement. Das war für mich immer mein innigstes Dankeschön, zumal ich für alle  Gnadengaben göttlicher Liebe niemals Geld verlangte. Auch die jeweiligen Heimleiter waren dafür sehr dankbar, zumal die meisten Bewohner nur über ein karges Taschengeld verfügten.

Mit Theo sah ich es als ein gutes Omen an, dass nach Wochen nasskalter, trister Witterung dieser Oktobertag 1998 –als ein wunderschöner, warmer Herbsttag begann. Zwar keuchte ich noch in leichteren Hustenanfällen, schluckte meine letzte Antibiotikum Tablette, aber der himmlische Wolkenbaldachin leuchtete in einer Fülle kosmischer Farben.

Im Gebet mit Theo freuten wir uns auf den Nachmittag, der nun ...

Unter der Thematik : „WARUM“ begann.

Im fast vollbesetzten Saal, spürte ich, wie mein Herr mich in seiner Gnade trug. Kein Hustenanfall quälte mich und ich betrachtete zunächst die mir ausschließlich unbekannten Gäste. Wir wurden von der Heimleitung vorgestellt – und begrüßten sie innig und liebevoll. Theo, der meist die Technik übernahm, ließ von mir ausgewählte Melodien zu – und nach jeweiligen Gedanken und Gedichte erklingen, was mir in häuslichen Proben viel Mühe bereitete. Ein Lied, das passend in Gedanken und Gedichte einfließt, beflügelt die Seele, schenkt Harmonie. Jedoch schien das in einer nun folgenden Diskussion misslungen zu sein, da es einer einzigen, älteren Dame gelang, nicht nur alles zu durchkreuzen, sondern einen regelrechten „Kleinkrieg“ zu entfachen. Über diese Unverfrorenheit war ich so sprachlos, so dass Theo für mich in den Riss trat. Aber nicht nur er, sondern auch der anwesende Schuldenberater des Hauses wurden gnadenlos bombadiert, nein, für diese dominante Dame gab es keine „Warum Frage“, absolut keine. In der mir eigenen Sensibilität spürte ich schon, dass man gezielt diese streitsüchtige Kritikerin aufgestichelt hatte, um mich in eine gezielte Blamage zu führen. Arme, verletzte Seele, dachte ich nur flüchtig, besonders für dich müsste es viele „Warum Fragen“ geben, was ich mit Theo am Abend noch im persönlichen Gedankenaustausch durchdachte.

Jedoch sollte dieser durch ein entsetzliches Telefonat durchkreuzt werden.

S.37

„Hilfe, Gott, Hilfe“, schrie Friedhild (Name geändert) durchs Telefon, „ich werde mich umbringen, ja, nun endgültig, Hannelore!“

„Nein, das wirst du nicht tun“, ermutigte ich sie ernsthaft, empfand jedoch für die völlig zu Boden geschlagene Frau tiefes Erbarmen. So ließ ich die Arme zunächst reden, reden, obwohl ich meine eigene Belastbarkeit kaum noch unter Kontrolle hatte. Nach einem gemeinsamen Gebet durch den Draht fragte ich sie, ob es ihr besser gehe, was sie erneut verneinte.

„Solch einer Idiotin, wie mir? Die wollen mich doch wieder in eine Psychiatrie bringen, aber auch dort kann mir niemand helfen. Überall muss ich in diesem Höllenpanzer leben, Hilfe, Gott, Hilfe! Auch mein Bruder hat sich umgebracht, das wird nun auch mein einziger Ausweg sein!“ Wie in einem geistigen Film rollte diese Tragödie vor mir ab, aber nicht nur vor dieser, sondern auch von anderen Menschen in Durststrecken eines möglichen Freitodes. „Der Strick hängt, Hannelore“, schrie mir vor nicht allzu langer Zeit eine junge Frau durch den Draht, konnte aber an diesem Abend meine Geburtstagsgäste nicht verlassen, redete und betete mit ihr diesen Suizid hinweg.  Hilflos stand ich aber vor dem Sarg eines jungen Mannes, dem der Freitod lohnenswerter schien.

„O Gott, o Gott, ich arme Idiotin“, stöhnte Friedhild erneut und in einer lautstarken Panik, die ich nicht unterschätzen durfte. War sie meist eine stille Vertreterin. „Friedhild, ich benötige nur eine Verschnaufpause, mit Theo werden wir dich für eine Weile in unsere untere Gastwohnung ein – quartieren, werden in dieser Gemeinschaft dich wieder „gesunden“ lassen.

„Aus meinem Kartenhaus des Wahnsinnes?“ „Doch, gemeinsam werden wir es schaffen!“ „Mit solch einer Idiotin? Überall muss ich in diesem Höllenpanzer sitzen, ich arme Idiotin!“

„Nein, Friedhild, das musst du nicht – und während eines längeren Gespräches hatte ich die Gewissheit, dass diese arme Seele zumindest für diese Nacht Trost und Hoffnung finden würde. „Mit solch einer Idiotin“, hörte ich sie noch lange stöhnen, bis ich endlich,

restlos erschöpft... irgendwann in später Mitternacht einschlief.....

Noch ahnte ich nicht, auf welch ein Abenteuer ich mich eingelassen hatte, denn ........

S.38

                           

Am übernächsten Tag holten wir Friedhild in unser Haus, um sie für einige Wochen aufzubauen. Tag für Tag saß nun meine arme Freundin schon am frühen Morgen vor meiner Schlafzimmertür, um wartend, mich dann forschend zu betrachten. Würde ich, ihr sogenanntes „Kind“ nicht auch zu einer Idiotin werden? Das gestand sie mir fast ausschließlich. Nein, ich hielt tapfer durch, zumal Theo, unser hauptsächlicher Hobbykoch war.

Es gelang uns sogar, sie an einem Mittag in unseren Garten zu entführen, in dem sie abgefallenes Buntlaub und leichte, morsche Zweige zusammenrechte. Eine solche Bewegungstheraphie würde ihre Depression verscheuchen, glaubte und hoffte ich von ganzem Herzen, zumal wir ihr fast jeden Abend eine christliche Evangeliums Kassette – auch im Sinne eines Befreiungsdienstes durch geisterfüllte Evangelisten vorführten. Jedoch schien das nicht unserer Friedhild zugedacht, was sie zumindest mir immer zu versichern verstand. Nein, sie musste in diesem „Höllenpanzer“ leben, den man nur durch Suizid sprengen konnte.

„O, Gott, o, Gott“, stöhnte sie sich Tag für Tag durch ihre Mutlosigkeit, der ich kaum noch gewachsen  - und nach einer Woche zwar unter gemischten Gefühlen, aber für eine Verschnaufpause dankbar war. Gedachten ihre Verwandten sie für einen Abend zu einer Einladung zu „entführen“, was ihr noch größeren Kummer zu bereiten schien. Obwohl sie sich vehement sträubte, musste sie sich fügen und ich sah ihren letzten verzweifelten Blick, nachdem sie Theo die dunklen Treppen hinab zum PKW ihrer Verwandten führte. Ausgelaugt und völlig benommen saß ich in meinem Kücheneckchen, als mich plötzlich ein Gittergewölbe einschloss, oder war es Friedhilds Höllenpanzer? Alle, die mit mir zu tun haben, werden Idioten, hörte ich sie noch stöhnen, oder kamen solche Stimmen aus dem neben mir stehenden Telefon? In einer Art Panik wählte ich eine Telefonnummer... Frank? (Name verändert) Was ich ihm durchs Telefon schrie – oder entgegen brüllte – ist mir entfallen, aber er verstand wohl sofort, dass er mich nur durch eine Schocktheraphie aus meiner „Gefängniszelle“ befreien konnte. Obwohl er nicht gerade sanft mit mir umging, gelang es ihm, dass sich tatsächlich das Gittergewölbe öffnete – und Theo mich nach diesem Zusammenbruch regelrecht in mein Bett schleppte. In diesem Erschöpfungszustand durchschlief ich nicht nur diese Nacht, sondern den nächsten Sonntag bis in die nächtlichen Stunden hinein. Damals konnte ich Friedhild zwar nicht mehr in unserem Hause dienen, war aber dankbar, sehr dankbar, dass sie sich allmählich wieder in einer Art Befreiung und ohne Suizid befand....

 

So fand ich mich während meiner „Reise“ vor einem unserer alten Holzschuppen wieder, den ich vor einigen Wochen mit grüner Farbe und goldgelber Holzumrandung bestrichen hatte, jedoch nur die Vorderfront bemalen konnte, da ich keine Farbe mehr hatte. Eigentlich hätte alles gründlicher geschehen müssen, überlegte ich versonnen, ob natürliches oder geistiges Leben, dachte unwillkürlich an Friedhild, für die ich...

inmitten von Lebensstürmen besonders dieses Gedicht verfasst hatte:                                                                                                   

S.39   

„Zuversicht“

 

Wenn deines Glaubens Anker bricht

kannst schauen du nur düstres Licht..

auch wenn die Sonne draußen scheint

tief deine Seele dennoch weint

und fragt: „WARUM?“

ER, der nicht wollte all dein Leid –

ER, der dich aus ihm hat befreit,

darfst in der Stille, auch laut zu IHM flehen

„JESUS, nimm meiner Ohnmacht Wehen!“

Glaub`IHM, schon bald ... kann SEIN,

Ja, SEIN Wunder der Liebe befrein.......!!!

 

 S.40                                              

 

Während ich in meinem grünen – oder „noch“ grünen Speisezimmer saß,

wanderten meine Gedanken in eine wohl über 5O.jährige Vergangenheit,

in der man, in Absprache mit meinem Schwiegervater – an der unteren Hahingstraße kleine Pappelbäumchen gepflanzt hatte. Und sie wuchsen und wuchsen zu riesigen Bäumen heran, so dass ich Jahr für Jahr unter ihrem berauschenden Lied stille ward, um mich in diesen Gesang zu vertiefen. Seit einigen Jahren kann ich ihren Gesang nicht mehr hören, aber ein Krächzen und Stöhnen aus dem zurückgebliebenen Erbgut.

Kornblumenblau hatte ich mir nicht nur einen klobigen Holztisch, sondern ein urig geformtes Beistelltischchen bemalt, sowie die dazu passenden Stühle, die natürlich nur Holzklötze waren. Hinter der ebenso himmelblau bemalten  Eisen-Rosen-Stange hatte ich mir einen lustigen Drachen aufgehängt, der aus Bast, auch als strohähnliches Gebilde mal lächelnd nach vorne, mal verschmitzt nach hinten baumelte. An der kornblumenblauen Rosenstange schien er sich mehr als wohl zu fühlen.

Eine mächtige Zimtnelkenhecke umrahmte mein Speisezimmer im Grünen. Fast 2 Meter hohe Stauden hatten noch bis vor wenigen Wochen ihre zartlila Blütensterne getragen, was Theos Imkerei noch zum Segen diente. In dieser kleinen, für mich „heiligen“ Oase ,hätten sich meine Bushüttenfreunde wohl weniger wohlgefühlt, denn sie war lange schon zu einem „Häuschen“ geworden, unter dem man auf einer längeren Bank ein Dach über den Kopf hatte. Ich hingegen konnte hinauf zu dem himmlischen Baldachin schauen, der auch an diesem Oktobertag nur den Nachteil hatte, dass er mir viele buntfarbige Blätter in mein Speisezimmer warf. Zumindest schien das meinen niedlichen und braven Gästen zu imponieren, mit denen ich dankbar zurückschauen konnte. Versunken saß ich mit meinen stummen Gästen im Speisezimmer, den Barbie Puppen unserer einstigen, kleinen Tochter, sowie auch ihren Töchter und unseren zwei Enkelkinder. Im Zwiegespräch mit dem Barbiepuppenmann, schienen seine ihm anvertrauten Dämchen zu lauschen, oder zu schmunzeln?

„Hälst du Zwiegespräche?...“ fragte mich Theo, „du wolltest doch......?“

„Natürlich werde ich noch einige Herbstarbeit tun“, unterbrach ich ihn,

„hast du meinen rollenden Tisch geleert?“ Er wusste sofort, dass ich den Schubkarren meinte, hatte ich meinen Kaffee, mein Werkzeug, meinen Block immer bei der Gartenarbeit, um mir in manch einer Ecke eine Pause zu gönnen. „Haben wir nicht allen Grund zu danken, Theo?“ Unsere Tochter, unser Schwiegersohn und unsere Enkeltöchter sind so gut geraten und das wichtigste ist, dass wir alle eine christliche Familie sind. Mussten wir auch manches tiefe Tal, manches Bangen durchstehen, unsere vielen Gebete stiegen zu Gott empor. „“Ja, Hannelore, ehrliche Gebete bleiben nie unerhört.“

Rasch schloss ich meinen Block, stellte meinen Picknick Korb auf den rollenden Schubkarren-Tisch, um nach Stunden getaner Arbeit mich noch eine Weile von der Spätnachmittagssonne umkosen zu lassen.

S.41

 

 

An diesem Abend gedachte ich nur noch eine Schreibecke zu sortieren,

in der nur ein einziger Brief in einem Schreibkörbchen griffbereit stand.

Er bedeutete mir viel, unsagbar viel und ich vertiefte mich in den Inhalt,

den ich zu Ehre Gottes nur dankbar in diese Welt hinaus surfe:

 

S. B.

Theodor-Fliedner-Str. 12

34121 Kassel

 

Sehr geehrte Frau Leibold,

 

seit 1993 muß ich zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe hinter Mauern und Gittern leben; mit dem Monat November 1994 in der JVA Kassel 1.

 

Erst in der Einsamkeit der Zelle fand ich wieder die Ruhe zum Lesen.

In der vergangenen Woche fiel mir Ihr kleines Büchlein

   „Vater unser im Himmel“

in die Hände und ich war so angetan von dem Inhalt, daß ich nach langer Zeit am Abend mal wieder gebetet habe.

 

Meine Bitte an Sie ist, mir weitere „Werke“ von Ihnen zuzusenden und mir zu erlauben, einiges aus dem Inhalt in der hiesigen Gefangenenzeitung...

Postfach 71 (ich wirke als freier Redakteur an der Gestaltung der Zeitung mit) zu veröffentlichen.

 

Verehrte Frau Leibold, mit meiner Bitte möchte ich es auch anderen  Gefangenen ermöglichen, dass sie das Wort Gottes in ihrer wunderschönen Art lesen können!

 

Mit der Hoffnung, dass sie mir meine Bitte erfüllen und im Dank im voraus, verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen                                                    S.B.

 

Diesen Brief, den ich am O7.O7. 1996 erhielt, kam genau zu einer Zeit, in der mein Glaube, meine Zuversicht arg brüchig war, ja, wie ein schwach –

flackernder, glimmender Docht fast zu verlöschen drohte. Hatte ich ein Jahr zuvor eine Dichterlesung  in der JVA Kassel halten dürfen, was die Gefängnisleitung sehr begrüßt hatte, aber nach diesem wunderschönen

Sommertag Schlag auf Schlag folgte.

Jedoch auch durch solche tiefen Täler trug mich mein Herr siegreich hindurch – und ich danke noch heute dem unbekannten Inhaftierten, dem ich natürlich alle meine Bücher zugesandt hatte, dass ich durch manch eine grausame Höllenpower nicht gänzlich zusammenbrach......

 

S.42

 

Nachdem ich nun auch noch die „Wände“ meines grünen Speisezimmers

abgeschnitten hatte, konnten sie sich erfahrungsgemäß im nächsten Jahr zu einer noch mächtigeren Pracht entfalten, durchsann ich nur flüchtig die hauptsächlichen Engegements, in denen ich durch alle vier Himmelsrichtungen Menschen gedient hatte. Meist waren es solch chaotische Schicksale gewesen, die man kaum mit Worten zu beschreiben vermag. Solchen und ähnlichen „Killergeister“ konnte und wollte ich mich nicht mehr aussetzen, begrub ihre Intrigen und Schmutz unter das fast abgefallene und verfaulte Laub, auch unter einer möglichen, bald eisigen Schneedecke, die, so Gott will, sich in Lyrik oder mannigfaltiger Fantasie öffnen kann.

Alles war nur eine Spur, ein Hauch meines Lebens,

doch Letztglutröslein flüstert: Nichts war vergebens:

Schau in mein „Goldkelchlein“ hinein

Abschied muss irgendwann sein –

ja, irgendwann ....................                 Eure

                                                            Hannelore Leibold

 

 

Im 67. Lebensjahr 


   

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