„Aber die Liebesrosen, Florian, führen doch zur entscheideten Wende ! Und man findet sie doch nur dort droben
hinter den Felsen, hinter denen der Eiskönig niemals so viel Böses tun darf. Schade, dass wir des Sturmes wegen nicht mehr diese überklettern konnten.....
Aber die letzte Strophe sage ich dir noch auf, lieber Christian, denn die Betonung ist Florian wieder nicht so gut gelungen. „
Und schon sprudelt Floris Herzchen diese Liebessprache hervor;
Schattenrosen gedeihen nicht
doch Liebesrosen im Sonnenlicht
und wenn ein Mensch ist wieder gesund
dann soll er bezeugen die Liebeskund:
Nur eine Rose ins Kapellchen legen
und der liebe Gott schenkt Gesundheit und Segen !!!!
„Kinder, das Gedicht ist sehr schön, aber gewiss seid ihr nun hungrig?“ So fand unter dem alten und schon arg verwitterten Strohdach der Hütte ein lustiges Morgenfrühstück statt. Aus einem irdenen Honigtopf wurden Brot
Scheiben bestrichen, vom frischen Quellwasser pumpte Florian das köstliche Getränk, bis sie alle satt geworden waren. „Wie alt bist du ?, wollte Florian wissen, wonach ein müdes Lächeln über die dünnen Lippen des Greises glitt. „Wenn ich das wüsste, Bub, würde ich mich wohler fühlen.“ „Aber jeder Mensch weiß doch, wie alt er ist“,
unterbrach Flori erstaunt, „wir sind nicht nur Zwillinge, sondern sogar Sonntagskinder und feierten unseren sechsten Geburtstag in der letzten Juliwoche im Gärtchen draußen. Ja, es war ein besonders schönes Fest, weil unser Mütterlein nach einer schweren Krankheit wieder gesund geworden ist.“ „Auch Vater war mal zu Hause,
musste nicht im Außendienst arbeiten – und Großmutter backte die beste Obsttorte“, versicherte Florian begeistert, was aber Flori mit folgenden Worten unterbrach. „Sei doch nicht so prahlerisch, der arme Christian scheint so was überhaupt nicht zu kennen! Ihn hat der Eiskönig bestimmt noch verzaubert, in dieses einsame Bergtal verbannt. Und dort hinten auf dem alten Rosenbeet konnte er ja wirklich nicht die besondere Liebesrose finden, welche der Sturm fast abgeknickt hat. Gespannt schauten ihn die Zwillinge an. „Nein, Kinder, irgendwann, vielleicht sind sogar schon hundert Jahre vergangen, fanden mich hier droben Mönche, die mich als ihr Findlingskind behalten wollten. Sie hatten nur eine kleine Klause und einen Klostergarten – und wollten ihre Christnacht feiern. Und es war ihre schönste, wie sie mir später immer wieder erzählten, denn ein fast erfrorenes, lebendiges „Christkindlein“ hatten sie noch nie zuvor gefunden. Es war ganz droben hinter der Felszinne, wo sie mich als brüllendes Baby fanden.“ Mit seinem Stock deutete er in Richtung Gebirgswelt hinauf. Über dem Kamm dieser östlichen Berge trat nun endgültig die Sonne hervor – und das Drio bestaunte ehrfürchtig diese Spitzen der Berge, die wie mit glühenden Erz überflutet ausschauten. Welch eine Faszination! Versunken murmelte Christian vor sich hin: „Längst ist diese Klause abgerissen worden, Raubritter hatten die armen Mönche vertrieben, um als Eiskönige zu herrschen. Aber es war für mich eine schöne Zeit, unter den Mönchen heranzuwachsen. Und ein alter Bruder, es war ein Gärtner, meinte gutmütig, er ist zwar nur ein Findling, hütet unsere Ziegen, ist jedoch gescheiter, weil er in dieser schöpferischen Vielfalt weitaus mehr lernt, als manche Kinder im Elternhaus, zumal ihn der gelehrte Pater Peter ihm rechnen, lesen und schreiben beibringt.
Beim Ziegen hüten hat er Zeit genug, für ihn geeignete Bücher zu lesen. „Christian, hast du auch die Geschichte vom Eiskönig gelesen?“ „Nein, Florian, für die gläubigen Mönche und Brüder war das nur eine heidnische Ansicht.“ „Aber Großmutter ist doch auch gläubig – und – würde uns nie heidnische Geschichten erzählen“, versicherte Flori mit roten Bäckchen, während sie energisch mit dem Köpfchen und blonden Zöpfen das Gehörte verneinte. Ebenso Florian. Mit einer Hand ordnete er seinen blondgelockten Wuschelkopf, um grübelnd Christians Greisengesicht tiefer zu ergründen. „Nein, Christian, das kann nicht sein“, versicherten die Zwillinge
im Brustton der Überzeugung und gedachten nochmals ihre Wunderrose zu suchen. „Christian, schau, über dem Eiskönig lacht nun die Sonne in voller Pracht und er wird bestimmt in so guter Laune sein, um eine Wunderrose
aus seinem Gebirgsschloss zu werfen. Das geschieht zwar ganz selten, aber es geschieht!“
Christian vermochte es ihnen nur schwerlich auszureden, bangte um eine erneute, bevorstehende Gefahr. S.4
Verzweifelt sandte er nicht nur einen Blick gen Himmel, sondern mehr ein inniges Gebet seiner Herzens-
sprache. Und diese wurde erhört. „Kinder, euer „Eiskönig“ hat die Wunderrose auf den Birnbaum geflogen,
schaut, dort droben leuchtet eine rote Spitze durch die Zweige.“ Tatsächlich sahen Florian und Flori eine solche Zauberrose in den Ästen- und schon kletterte der Bub hinauf, wonach eine wundersame Glutrose hernieder fiel.
„Nun ist der Eiskönig aus seinem Bann erlöst“, flüsterte Flori glückselig und streichelte zärtlich diese Liebesrose.
Ein leichter Windhauch begann sie sogar zu öffnen und Christian weinte Freudentränen.
„Lieber Christian, deine Tränen beweisen uns, dass du hundert Jahre bist! Glaubst du das auch, Flori ?““Ja, stammelte sie erregt, denn hundert Jahre müssen vergangen sein, bis der liebe Gott ein solches Wunder tut.
So hat Großmutter ebenso erzählt und der Eiskönig ist dann nur noch ein Liebeskönig im Rosenschlossfels.“
„Kinder, nun eilt aber rasch zum Kapellchen hinab, ermutigte der alte Greis gerührt, denn der liebe Gott wartet bestimmt auf euren Verspruch!“ „Ja, Christian, aber wir kommen bald wieder zu dir“, versprach ihm das glückliche Päärchen, umarmte ihn noch dankbar und raste ins Tal hinab....
Um die Hutzelbirnen, die einfaulend unter dem Baum lagen, begannen Fliegen zu summen, aber bald, schon bald ... fraß sich anderes Geziefer in sie ein. Auch flatterte zuweilen ein noch buntgefärbtes Blatt vom Baum,
und Christian wusste, dass nicht nur im Sommerleben der Natur schon die Ahnung des nahenden Winters bevorstand.
Hoch in den Lüften kreiste schon eine erste Schwalbenschar, um sich für ihre Reise zu sammeln.
Christian wusste, es war sein letzter Abend hiernieden;
Still und im goldschönen Schimmer schlief er in diesen und unter seinem Birnbaum ein.
Seine Seele flog gen himmlische Gefilde, während eine andere Liebesrose auf seinen alten und leblosen Körper fiel. Die ist für dich, guter Alter, schien nicht nur der Eiskönig von seiner ewigen Felsruine zu rufen, sondern auch der Birnbaum im Murmeln ihm im Abschied zu versichern.
Während dieser stillen Mondnacht erklang ein Trauer und Liebesglöcklein vom Kapellchen empor.
Wenn ihr dieses Glöcklein hört, liebe Kinder,
möge der liebe Gott euch immer eine Liebesrose finden lassen.
Das wünscht euch ganz herzlich ..
und nicht nur in diesem Märchen eigener Fantasie
eure Hannelore Leibold ......... www.ge-dichte.besucht.de