„Des Eiskönigs Zauberrose“

                                                                                             Märchen

                                                                                             von HA-LEI

 

Mit tastendem Stock schritt der alte Christian durch den Garten, setzte sich auf eine schon arg morsche Holzbank, die unter einem alten Birnbaum stand.  Unter seinen herabhängenden Zweigen schaute er mit müden Augen durch die beginnende Nacht. Er hob die roten Lider zu einem besonderen Ast empor.

Tatsächlich begann er mit ihm zu reden. „Auch du wirst bald deine letzten Hutzelbirnen abwerfen“, murmelte er ihm zu – und sie werden in das Erdreich einfaulen, weil sie niemand mehr zu schätzen weiß. In düstere Gedanken vertieft, bemerkte Christian nicht, wie ein Sturm sich durch die sinkende Nacht anbraute. Schon bald begann das Toben einer Naturgewalt sich dermaßen auszuwüten, so dass die armen Hutzelbirnen fast alle unter dem Birnbaum lagen. Nur mühsam stolperte der Alte zu seiner Hütte, betrachtete den Gehstock, der sein bester Freund geworden war. Vor langer Zeit hatte er ihn sich selbst geschnitzt, als seine Knochen zu streiken begannen. „Wie alt sind wir, knorriger Gehilfe?“ – fragte er ihn im Zwiegespräch, du schweigst? Ja, niemand wird uns helfen, es herauszufinden“,  und wie zur Bestätigung schien der Stock zu knurren. Oder war es das Gebälk? Ein greller Blitz zuckte über die Wolken hin, wonach ein grollender Donner folgte. Das Gebirge lag unter einer mächtigen Erschütterung. Noch immer fiel kein Regen hernieder. Christian saß wartend vor einer Fensterluke und beobachtete die schneller zuckenden Blitze mit fast pausenlos aufeinanderfolgende Donner.

Tal und Berge leuchteten auf, versanken fast gleichzeitig wieder in schwarze Finsternis. Besorgt blickte der alte Mann in eine besondere Ecke in seiner Hütte, in dieser ein Tisch stand, dessen runde Steinplatte von einem dicken Baumstrunk getragen wurde. Dieser Stamm war schon vor sehr langer Zeit in dem mit Lehm beschlagenen Boden eingewachsen, und in seinen nach allen Richtungen knorrigen Wurzeln boten eine einzig-

artige Faszination. Das gestanden ihm des öfteren nicht wenige Bergwanderer, wenn sie bei ihm Rast machten,

um aus dem Quellbrunnen draußen einen Becher erfrischenden Wassers zu trinken. „So müsste man leben können, Alter“, pflegten einige Städter zu beteuern, „ohne Stress und in einer solch einsamen Hütte, in der man fast alles findet.“ An einer Wand war ein Rahmen für notwendiges Geschirr und Bestecke angebracht, in einer anderen Ecke standen Herd mit seiner Liegestatt, wieder in der nächsten Ecke ein uralter Bauernschrank – und

daneben eine breitere, knorrige Bank, die mit einem Wolfsfell überzogen war. Ein gelbliches Hanftuch hing wie ein bleiches Gespenst an einem rostigen Haken. Bloß einige Balkenwände waren etwas neuer verschalt, was Christian noch alleine geschafft hatte, vor Jahren nach einer Unglücksnacht. In dieser hatte er alles verloren was ihm noch lieb und lebenswert war. Doch all diese Gedanken verbannte er in sein altes „Oberstübchen“, wie er sein Gehirn zu bezeichnen pflegte. Nachdem wieder ein Donner krachte, fielen endlich erste Regentropfen nieder und schon bald ergoss sich ein sintflutartiger Regenfall über das Land. Gott sei Dank hatte kein Blitz in seinen Baumstrunk eingeschlagen und ein letztes, polterndes Echo rollte über die Berge. Nun kann ich wieder hinaus zu meinen Birnbaum gehen, dachte Christian, entzündete sich mit zittrigen Händen ein bald flackerndes

Spanlicht, stützte sich auf seinen Stock und zog die abgewetzte Wetterjacke über seine gebeugten Schulter.

Die hing schon seit vielen Jahren an einem Haken neben der alten Eichentür. Und wieder saß er unter seinem Birnbaum, seufzte tief, während seine Augen sehnsüchtig in eine fast leere Bergwelt schauten.

Hörte er nicht von dort droben Kinder schreien? Nein, er hatte sich nicht geirrt, irgendwelche Kinder mussten in großer Not sein. Mit erhobener, ja, fast geballter Faust schrie er gen Himmel seine Ohnmacht entgegen, denn keine Menschenseele wäre auffindbar gewesen, um die Kinder aus ihrer Gefahr zu befreien. Aber schien ihn sein alter Baum nicht durch sein Raunen trösten zu wollen? Wie oft konnte er dieser Sprache vertrauen und er blickte in seinen mächtigen, durchnässten Blattwuchs. Was bekam er über ihm zu sehen? In einer finsteren Wolkenkluft sah er eine flüchtige Flammenhelle, oder war es ein nächtlich gejagdes Nebelgebilde? Während dieser stockfinsteren Nacht begann Christian an seinem Verstand zu zweifeln, den der Baum aber durch seine herniederfallenden Regentropfen aufzufrischen schien. Stolpere ihnen entgegen, raunte es aus den Ästen, von denen einige herabgerissen waren. Wie ein Wunder schien ihn eine Kraft zu durchströmen und er schritt mutig den Felszacken entgegen. Unter nächtlichen, schwarzen Konturen kämpfte er sich vorsichtig durch ihm altbekannte Schleichwege, stolperte hin und wieder über abgebrochene Äste, bis der Wind sein Spanlicht endgültig ausgeblasen hatte. Dankbar war er über den zunehmenden Mond, der ihm nun Wegweiser war.  S.1   

So laut wie möglich es seine greise Stimme zuließ, schrie er den Kinder irgendwelche Signale entgegen,

bis er ihr dankbares JAAA zu hören bekam. Wieder brüllte er, bis sie vor ihm standen.

Ein Bub und ein Mädchen. Trotz der Finsternis konnte er erkennen, wie sie völlig durchnässt, verschmutzt und voller Angst anschauten.“Ein Unwetter hat uns überrascht“, stammelten sie noch arg verwirrt, „aber wir wollten doch die schönste Zauberrose suchen, um sie dem lieben Gott zu schenken. Ja, weil er unser Mütterlein wieder gesund gemacht hat. Und solche Rosen gibt es gibt es nur ganz droben hinter der Felsklause des Eiskönigs, so hat Großmutter gesagt.“ Christian war gerührt. „Wollt ihr in meiner Hütte übernachten, denn gewiss wohnt ihr weit unten im Bergtal ?“ „O, ja, sehr gern, denn bis der Morgen graut, werden wir uns bestimmt erneut verirren!

Gemeinsam führten die beiden Geschwister den alten Greis an der Hand, mit dem sie vertrauensvoll bald seine Hütte fanden. Völlig erschöpft durften sie auf der Bank liegend  - und in der Wolfsdecke eingekuschelt in einen Tiefschlaf fallen. Was wird der kommende Tag bringen, durchgrübelte Christian die schlafenden Kinder, von denen er noch nicht mal wusste, wer sie waren. Weder Namen noch Alter  kannte.

Während eines erneut einsetzenden Regens verbrachte er diese Nacht auf seinem Holzstuhl über dem Baum –

strunk Tisch gelehnt, wobei ihm nur hin und wieder ein Nickerchen gelang............

                                                                                                                                                    S.2

Flori und Florian.......

 

“Lieber Mann, du hast uns gerettet”, weckte ihn das schon muntere Päärchen, das ihn und fasziniert den eingewachsenen Srunk betrachtete. Oder war es der Eiskönig, der dich zu uns geführt hat?“

„Gewiss trug er dazu bei, Kinder, aber wer seid ihr und wie heißt ihr eigentlich ?“

Schon bald sollte er es wissen und staunte, dass sie ein sechsjähriges Paar waren. Zwillinge! Ob man sie wohl deshalb Flori und Florian genannt haben mag, überlegte er nach ihrer Namensbekundung. „ Und wie heißt du,

lieber, alter Mann?““ Ich bin der Christian, ja, der uralte Christian!“ „Toll, des Eiskönigs Zauberrose soll ja auch ein Christenmann gezüchtet haben, aber das war vor langer, langer Zeit“, versicherte Flori ernsthaft.“Bloß wollte der Eiskönig diese Liebesrose nicht dulden“, unterbrach Florian sein Schwesterchen – „und ich kenne ein Gedicht schon so gut, kenne es sogar auswendig, weil es Großmutter uns so oft vorgelesen hat. Darf ich es dir  aufsagen, Christian ?“ Dieser nickte. „Aber mit Betonung, Florian, sonst ist es nicht spannend!“

 

Bergshiluetten

verschlungene Ketten

ineinander ragen

flüstern uralte Sagen

vom Eiskönig Geist

ja, so dieser heißt.

 

Und so stellt er sich vor

schleicht sich heimlich vors Tor

aus Granit Findlings Schloss

hinter diesem reichlich floss

weißschaumige Gischt

Eiskönig sie vermischt

in ein Zaubergetränk

Menschen kaufen`s als Geschenk....

 

Ha – der Eiskönig lacht

Menschen Torheit bewacht

Habgier, die erforscht, ich durchdacht....

 

So nimmt er den Seidelbast

mit Bärenklau rührt um Ballast

auch Tollkirschen durchgoren

glaubt Eiskönig unverfroren

wird vernichten, vergiften.......

 

Und er nimmt gen Mitternacht

im Mixprozess seines Fürsten Macht

in diesem gruslig Rezept

ernsthaft im Respekt?

Nur einige Tröpfchen genügen-

so kann man Naive belügen

Eisrosengift wird zur Galle

Eistöchter stellen die Falle

und Dämon Fürst ermutigt ihn:

Bravo gemacht, sie werden fliehn

in einen Wahnsinn den ich bot

Eiskönig bin dein Freund der Tod!                                                              S. 3

 

„Aber die Liebesrosen, Florian, führen doch zur entscheideten Wende ! Und man findet sie doch nur dort droben

hinter den Felsen, hinter denen der Eiskönig niemals so viel Böses tun darf. Schade, dass wir des Sturmes wegen nicht  mehr diese überklettern konnten.....

Aber die letzte Strophe sage ich dir noch auf, lieber Christian, denn die Betonung ist Florian wieder nicht so gut gelungen. „

Und schon sprudelt Floris Herzchen  diese Liebessprache hervor;

 

Schattenrosen gedeihen nicht

doch Liebesrosen im Sonnenlicht

und wenn ein Mensch ist wieder gesund

dann soll er bezeugen die Liebeskund:

Nur eine Rose ins Kapellchen legen

und der liebe Gott schenkt Gesundheit und Segen !!!!

 

„Kinder, das Gedicht ist sehr schön, aber gewiss seid ihr nun hungrig?“ So fand unter dem alten und schon arg verwitterten Strohdach der Hütte ein lustiges Morgenfrühstück statt. Aus einem irdenen Honigtopf wurden Brot

Scheiben bestrichen, vom frischen Quellwasser pumpte Florian  das köstliche Getränk, bis sie alle satt geworden waren. „Wie alt bist du ?, wollte Florian wissen, wonach ein müdes Lächeln über die dünnen Lippen des Greises glitt. „Wenn ich das wüsste, Bub, würde ich mich wohler fühlen.“ „Aber jeder Mensch weiß doch, wie alt er ist“,

unterbrach Flori erstaunt, „wir sind nicht nur Zwillinge, sondern sogar Sonntagskinder und feierten unseren sechsten Geburtstag in der letzten Juliwoche im Gärtchen draußen. Ja, es war ein besonders schönes Fest, weil unser Mütterlein nach einer schweren Krankheit wieder gesund geworden ist.“ „Auch Vater war mal zu Hause,

musste nicht im Außendienst arbeiten – und Großmutter backte die beste Obsttorte“, versicherte Florian begeistert, was aber Flori mit folgenden Worten unterbrach. „Sei doch nicht so prahlerisch, der arme Christian scheint so was überhaupt nicht zu kennen! Ihn hat der Eiskönig bestimmt noch verzaubert, in dieses einsame Bergtal verbannt. Und dort hinten auf dem alten Rosenbeet konnte er ja wirklich nicht die besondere Liebesrose finden, welche der Sturm fast abgeknickt hat. Gespannt schauten ihn die Zwillinge an. „Nein, Kinder, irgendwann, vielleicht sind sogar schon hundert Jahre vergangen, fanden mich hier droben Mönche, die mich als ihr Findlingskind behalten wollten. Sie hatten nur eine kleine Klause und einen Klostergarten – und wollten ihre Christnacht feiern. Und es war ihre schönste, wie sie mir später immer wieder erzählten, denn ein fast erfrorenes, lebendiges „Christkindlein“ hatten sie noch nie zuvor gefunden. Es war ganz droben hinter der Felszinne, wo sie mich als brüllendes Baby fanden.“  Mit seinem Stock deutete er in Richtung Gebirgswelt hinauf. Über dem Kamm dieser östlichen Berge trat nun endgültig die Sonne hervor – und das Drio bestaunte ehrfürchtig diese Spitzen der Berge, die wie mit glühenden Erz überflutet ausschauten. Welch eine Faszination! Versunken murmelte Christian vor sich hin: „Längst ist diese Klause abgerissen worden, Raubritter hatten die armen Mönche vertrieben, um als Eiskönige zu herrschen. Aber es war für mich eine schöne Zeit, unter den Mönchen heranzuwachsen. Und ein alter Bruder, es war ein Gärtner, meinte gutmütig, er ist zwar nur ein Findling, hütet unsere Ziegen, ist jedoch gescheiter, weil er in dieser schöpferischen Vielfalt weitaus mehr lernt, als manche Kinder im Elternhaus, zumal ihn der gelehrte Pater Peter ihm rechnen, lesen und schreiben beibringt.

Beim Ziegen hüten hat er Zeit genug, für ihn geeignete Bücher zu lesen. „Christian, hast du auch die Geschichte vom Eiskönig gelesen?“ „Nein, Florian, für die gläubigen Mönche und Brüder war das nur eine heidnische Ansicht.“ „Aber Großmutter ist doch auch gläubig – und – würde uns nie heidnische Geschichten erzählen“, versicherte Flori mit roten Bäckchen, während sie energisch mit dem Köpfchen und blonden Zöpfen das Gehörte verneinte. Ebenso Florian. Mit einer Hand ordnete er seinen blondgelockten Wuschelkopf, um grübelnd Christians Greisengesicht tiefer zu ergründen. „Nein, Christian, das kann nicht sein“, versicherten die Zwillinge

im Brustton der Überzeugung und gedachten nochmals ihre Wunderrose zu suchen. „Christian, schau, über dem Eiskönig lacht nun die Sonne in voller Pracht und er wird bestimmt in so guter Laune sein, um eine Wunderrose

aus seinem Gebirgsschloss zu werfen. Das geschieht zwar ganz selten, aber es geschieht!“

Christian vermochte es ihnen nur schwerlich auszureden,  bangte um eine erneute, bevorstehende Gefahr.  S.4

 

Verzweifelt sandte er nicht nur einen Blick gen Himmel, sondern mehr ein inniges Gebet seiner Herzens-

sprache. Und diese wurde erhört. „Kinder, euer „Eiskönig“ hat die Wunderrose auf den Birnbaum geflogen,

 schaut, dort droben leuchtet eine rote Spitze  durch die Zweige.“ Tatsächlich sahen Florian und Flori eine solche Zauberrose in den Ästen- und schon kletterte der Bub hinauf, wonach eine wundersame Glutrose hernieder fiel.

„Nun ist der Eiskönig aus seinem Bann erlöst“, flüsterte Flori glückselig und streichelte zärtlich diese Liebesrose.

Ein leichter Windhauch begann sie sogar zu öffnen und Christian weinte Freudentränen.

„Lieber Christian, deine Tränen beweisen uns, dass du hundert Jahre bist! Glaubst du das auch, Flori ?““Ja, stammelte sie erregt, denn hundert Jahre müssen vergangen sein, bis der liebe Gott ein solches Wunder tut.

So hat Großmutter ebenso erzählt und der Eiskönig ist dann nur noch ein Liebeskönig  im Rosenschlossfels.“

„Kinder, nun eilt aber rasch zum Kapellchen hinab, ermutigte der alte Greis gerührt, denn der liebe Gott wartet bestimmt auf euren Verspruch!“ „Ja, Christian, aber wir kommen bald wieder zu dir“, versprach ihm das glückliche Päärchen, umarmte ihn noch dankbar und raste ins Tal hinab....

 

Um die Hutzelbirnen, die einfaulend unter dem Baum lagen, begannen Fliegen zu summen, aber bald, schon bald ... fraß sich anderes Geziefer in sie ein. Auch flatterte zuweilen ein noch buntgefärbtes Blatt vom Baum,

und Christian wusste, dass nicht nur im Sommerleben der Natur schon die Ahnung des nahenden Winters bevorstand.

Hoch in den Lüften kreiste schon eine erste Schwalbenschar, um sich für ihre Reise zu sammeln.

Christian wusste, es war sein letzter Abend hiernieden;

Still und im goldschönen Schimmer schlief er in diesen und unter seinem Birnbaum ein.

Seine Seele flog gen himmlische Gefilde, während eine andere Liebesrose auf seinen alten und leblosen Körper fiel. Die ist für dich, guter Alter, schien nicht nur der Eiskönig von seiner ewigen Felsruine zu rufen, sondern auch der Birnbaum im Murmeln ihm im Abschied zu versichern.

Während dieser stillen Mondnacht erklang ein Trauer und Liebesglöcklein vom Kapellchen empor.

 

                 Wenn ihr dieses Glöcklein hört, liebe Kinder,

                        möge der liebe Gott euch immer eine Liebesrose finden lassen.

Das wünscht euch ganz herzlich ..

und nicht nur in diesem Märchen eigener Fantasie

eure Hannelore Leibold  ......... www.ge-dichte.besucht.de

 


   

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